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3.2.2. alt.vampyres:
Discussion of vampires and related writings and films

 

Die Nachrichtengruppe alt.vampyres bildet mit 3146 archivierten Artikeln die umfangreichste der Stichprobe. Ein vollständiger Überblick über die Mitteilungen in diesem Forum, wie ich ihn für alt.culture.bullfight versucht habe, sprengte auf Grund der reinen Menge den Rahmen dieser Arbeit. Daher möchte ich eine Darstellung des Geschehens in dieser Nachrichtengruppe anhand einiger ausgewählter Gesprächsfäden unternehmen.

Von der Gesamtzahl richten sich 2323 Artikel ausschließlich an diese Gruppe. Bei den verbleibenden 823 Artikeln handelt es sich um 284 Cross-Postings, die auch in thematisch verwandten Nachrichtengruppen (z.B. alt.gothic und alt.horror) erscheinen, sowie um 539 verteilte Artikel, denen jeder Zusammenhang zum Gruppenthema fehlt. Die Artikel sind ausschließlich in Englisch verfaßt.

Durchgängig fällt an den Mitteilungen auf, daß sie der Netiquette kaum Beachtung schenken. Niemand mahnt die Überlänge von Signaturen an, kaum jemand befaßt sich mit dem Layout von Artikeln, und die Zitate aus vorangegangenen Artikeln werden nicht auf das Wesentliche beschränkt. Hinzu kommen zahllose Rechtschreibfehler, die der Großzahl der Artikel einen deutlich informellen, teilweise sogar hastigen Charakter verleihen. Von den in der Netiquette aufgeführten Punkten sorgt einzig die Mißachtung des Kontextes der Nachrichtengruppe in vielen Mitteilungen für Diskussionsstoff. Ausgangspunkt der Kritik ist dabei weniger die Netiquette, als die Störung der Kommunikation innerhalb der Nachrichtengruppe.

Die zusammenhanglos über verschiedene Nachrichtengruppen verteilten Artikel sollen durch zwei Beispiele illustriert werden. Unter der Überschrift ,,Re: HAIL SATAN [...]`` (z.B. av/7) erscheinen 120 Artikel, die teilweise in mindestens 43 Nachrichtengruppen verteilt werden. Betroffen sind davon neben alt.vampyres auch thematisch so fernliegende Foren wie alt.punk und alt.zen. Ein roter Faden läßt sich in den Artikeln nur in dem z.T. rüden Ton ausmachen. Das gleiche Muster gilt für eine Reihe von 129 Artikeln, die unter der Überschrift: ,,Re: Are You A Republican? [...]`` (z.B. av/359) z.T. in mindestens 37 weiteren Foren erscheinen. Allerdings werden in diesem Fall ab und an tatsächlich politische Fragen erörtert. Im Folgenden werde ich Artikel dieser Art ebenfalls unter dem Begriff Spam zusammenfassen.

Rein informative oder Informationen erfragende Artikel stellen in dieser Nachrichtengruppe mit 113 Stück nur einen kleinen Anteil. Die Mitteilungen informieren über Web-Seiten, IRC-Kanäle, Buchverkäufe und -rezensionen sowie Film- und Videoverleihe. In der Regel werden solche Artikel nur zur Kenntnis genommen und nicht beantwortet. Zu dieser Gruppe gehören auch drei Frage-Antwort-Kataloge. In ,,Suggested Reading for alt.vampyres`` (av/148) werden Lese-Empfehlungen zu belletristischen Werken ausgesprochen, und av/1346 enthält den eigentlichen Katalog (FAQ) mit häufig gestellten Fragen und Antworten. In diesem Artikel werden neben Hinweisen auf ein in der Nachrichtengruppe angemessenes Verhalten auch Informationen über verschiedene Arten von Vampiren sowie Ratschläge zu wissenschaftlicher Literatur zum Thema Vampire versammelt.(90) Ein dritter Katalog namens ,,The alt.games.vampire.tremere FAQ`` gehört zu einer für Rollenspiele gedachten Nachrichtengruppe und wird auf Grund der thematischen Verwandschaft auch in alt.vampyres veröffentlicht.

Einen großen Anteil nehmen mit 362 Artikeln selbstverfaßte Geschichten und Gedichte sowie die Reaktionen darauf ein. Bis auf wenige Fälle, z.B. ,,ever have one of....`` (av/2029) (s.u.), werden diese Mitteilungen kaum diskutiert. Die Reaktionen beschränken sich in der Regel auf ,,hat mir gefallen`` oder ,,sagt mir etwas``.

Der große Rest der Mitteilungen in diesem Forum reagiert auf vorangegangene Artikel, und es entspinnen sich mitunter Gesprächsfäden, die sich über 60 und mehr Mitteilungen erstrecken. Auf Grund der zeitversetzten Reaktionen können sich solche Gespräche über bis zu zwölf Tage hinziehen. Dabei muten die so intensiv diskutierten Themen mitunter eher befremdend an: ,,Halten Vampire Haustiere?``, ,,Können Vampire verhungern?`` und ,,Werden Vampire krank?`` Ein immer wiederkehrendes Thema bildet die Erörterung von Psi-Vampirismus, womit das Verhalten von Vampiren gemeint ist, die sich anstelle von Blut an der geistigen Energie von Menschen laben. Großen Raum nehmen auch die Reaktionen auf Fragen und Vorstellungen von Neulingen sowie der Umgang mit ihnen in der Nachrichtengruppe ein. Ein weiterer Schwerpunkt ergibt sich aus dem Problem des massiven Spams in der Nachrichtengruppe: Wie soll hierauf reagiert werden? Dagegen halten sich Fachsimpeleien zu Büchern und Filmen, wie sie die Beschreibungszeile der Nachrichtengruppe verspricht, in Grenzen.

Generell fällt beim Studium der Mitteilungen auf, daß kaum einer der Verfasser seinen eigenen Namen zum Unterzeichnen benutzt. Die Klarnamen sind in einigen Fällen zwar den Kopfzeilen der Nachrichten zu entnehmen, aber oft genug finden sich auch an dieser Stelle Pseudonyme. In einem Extremfall wird sogar die Email-Adresse mit einer Ascii-Zeichnung versehen: ,, ^*^ ^*^ ^*^``.(91) Pseudonyme wie ,,Baby Jinx``, ,,Sableagle``, ,,Amber Silverwolf`` oder ,,Brightshade`` benutzen einerseits den Bezugsrahmen der Fantasy- und Horrorliteratur. Andererseits erlauben es die Pseudonyme, daß eine Person Mitteilungen verschiedenen Charakteren zuschreiben kann. So verwendet Bryan Tso Jones das Pseudonym ,,Wei-Lun``, wenn er jenes holprige Englisch schreibt, das auf die Charlie-Chan-Filme der 30er Jahre rekurriert (av/12) und ,,Jlas Ben-Tarak``, wenn er den grammatischen Regeln folgt (av/155).

Innerhalb der Nachrichtengruppe werden die Pseudonyme akzeptiert, was sich dadurch äußert, daß Mitteilungen eher diesen als den Klarnamen zugeschrieben werden. So spricht Sean Wilde in einem Artikel von ,,The Fugue``, die er sogar als Freundin bezeichnet, obwohl ihr Klarname in den Kopfzeilen ihrer Artikel enthalten ist (av/2133). Die Verwendung von Pseudonymen dient hier nicht einer Form des Rollenspiels, in dem Sinne, daß Charaktere vorher festgelegt und von den Mitspielern verkörpert werden. Eher drückt sich hier ein Konsens der Verfasser aus, der in der Faszination durch das Morbide besteht. Als Beleg für diese Behauptung kann die Vielzahl von Geschichten und Gedichten dienen, als deren immer wiederkehrendes Merkmal die Beschwörung des Dunklen und Geheimnisvollen gesehen werden kann. Besonders deutlich wird dies in einem Gedicht von ,,Brightshade`` mit dem Titel ,,Neverwhen``. Das Gedicht beschreibt die Welt von ,,Neverwhen``, wo Dämonen, Engel und Alpträume zu Hause sind, als einen dunklen Ort (av/2878). In einer Reihe von Reaktionen findet das Gedicht enthusiastische Aufnahme (z.B. av/2881, av/2892, av/2990).

In dieser Nachrichtengruppe wird zwar kein Rollenspiel aufgeführt, aber das bedeutet nicht, daß keine Rollenzuschreibungen vorgenommen würden. So werden beispielsweise in Artikel av/1462 einzelne Charakterzüge verschiedener Verfasser hervorgehoben:

,,there's sableagle saoring along with his grammar book, jewelsy with book of glow-in-the-dark poetry, cathari's beating someones brains in, and looking for duvivier... emrys is bored, karafons on a soap box, baby jinx is, as always, neckdeep in some topic... (or several topics), [...]``
Diese Charakterisierungen fassen nicht vorgegebene Rollen zusammen, sondern versuchen, Hauptmerkmale aus den Mitteilungen der jeweiligen Verfasser nachzuziehen. Diese Zuschreibungen haften in einem Fall besonders gut. Ein Autor äußert sich unter dem Namen ,,Horvath``. Regelmäßig nehmen andere Schreiber auf ihn in negativer Weise bezug, z.B.: ,,Horvath doesn't really count for much, being a stupid little low-life slug`` (av/1396). Die negativen Bemerkungen wenden sich selten an ihn selbst, sondern werden benutzt, Fehlverhalten zu illustrieren, oder, in der Art eines running-gag, einen Scherz einzuflechten (z.B. av/116, av/875, av/1520). Woher die Animositäten stammen, geht aus den Artikeln in der Stichprobe nicht hervor. Artikel av/1974 verweist mit seiner Frage an Horvath allerdings darauf, daß dieser den Angriffen schon länger ausgesetzt ist: ,,how are you anywayz ?? still getting flameeed left and centre ?``

Artikel av/1462 macht aber nicht nur deutlich, daß ein Verfasser ein Bild von anderen regelmäßig Schreibenden hat, sondern hier wird auch eine Liste erstellt, in der diejenigen erscheinen, die als zur Gruppe gehörig angesehen werden. Das Erstellen von Listen taucht in dieser Nachrichtengruppe öfter auf (z.B. in av/94, av/232, av/2795). Eine solche Handlung innerhalb eines öffentlichen Forums, für das keine Zugangsbeschränkungen existieren, legt die Deutung nahe, daß auf diese Weise eine Gruppe innerhalb des Forums konstituiert wird. In einem zweiten Schritt grenzt die Fortschreibung solcher Listen dann auch Gruppenmitglieder von Nicht-Mitgliedern ab.

Das Selbstverständnis als Gruppe zeigt sich auch in anderen Artikeln. So werden Neulinge bei bestimmten Fragen sofort auf den Katalog der häufig gestellten Fragen verwiesen. Dort werden sie gleich zu Anfang mit dem Satz konfrontiert: ,,This FAQ can only be as good as we as a newsgroup want to make it.`` (av/1346) Die bereits in der Nachrichtengruppe alt.culture.bullfight angesprochene bemerkenswerte Verknüpfung eines öffentlichen Forums mit den darin Schreibenden, die dort von ,,außen`` herangetragen wurde (s. Abschnitt 2.2.1.), wird hier zum Selbstverständnis. Diese Haltung zieht sich durch den ganzen Katalog, so daß dieser letztlich als eine Art Manifest der Gruppe gelesen werden kann.

Eine andere Demonstration des Selbstverständnisses wird in Artikeln geäußert, die das Thema Umgang mit Neulingen behandeln. An einem Artikel, der - unter der Überschrift ,,I'm not a vampire`` - nur die Zeile ,,I'm not a vampire, but I would'nt mind being one, any offers!¡` enthält (av/2196), entzündet sich Kritik an der Einfallslosigkeit der Neulinge, die immer die gleiche Herangehensweise an die Nachrichtengruppe wählten: Sie stellten sich mit einem Artikel vor, in welchem sie wünschen, ein Vampir zu werden. Zuerst wird das Fehlen von Witz und Phantasie (av/2063) beklagt und schließlich vorgeschlagen, eine Bewertungsskala für die Artikel von Neulingen einzuführen. Die Vorschläge für diese Skala reichen von einer Feststellung, ob zum Thema Vampire recherchiert wurde (av/2374), bis zur Einschätzung von Intelligenz und Taktgefühl, die in einer Mitteilung zum Ausdruck kommen (av/2390). In einem neu betitelten Gesprächsfaden ,,Vampire Wannabee Rating System``, der mit Artikel av/2370 beginnt, wird schließlich ein regelrechter Fragebogen zusammengetragen. Die Angelegenheit wird zwar scherzhaft behandelt, aber der Eifer, mit dem die Vorschläge gesammelt werden, erlaubt es, diesen Gesprächsfaden als einen Hinweis auf den Bedarf an einem virtuellen Initiationsritus zu lesen. Auf Grund dessen kann der Gruppe eine gewisse Geschlossenheit zugeschrieben werden.

Diese Geschlossenheit wirkt auch nach außen. Eine Soziologiestudentin veröffentlicht einen Fragebogen zum Thema Vampire in alt.vampyres und thematisch verwandten Nachrichtengruppen (av/1979). Daraufhin erhält sie unter anderem die Antwort, weniger auf Rollenspielgruppen zu achten, sondern ihre Fragen eher in Foren zu stellen, die ,,vampire`` mit y schreiben. Dort finde sie die richtigen Ansprechpartner, jene, die tatsächlich an die Existenz von Vampiren glauben (av/2307). Unter der Überschrift ,,Something I Really Should Tell You All`` wendet sich ein Mädchen (sie gibt in diesem Artikel ihr Alter mit 13 an) an die Nachrichtengruppe. Sie schreibt die Gruppe mit der Anrede ,,you`` direkt an und bezieht sich im Verlauf ihrer Mitteilung auf ,,the people here`` (av/2713).(92)

Die Gruppe wird auch in negativer Weise wahrgenommen. In Artikel av/2210 beschimpft jemand die Mitglieder mit den Worten ,,You guys are just a bunch of poser-wannabe's.`` Ein anderer fragt sich, warum er ,,with you people`` seine Zeit verschwende (av/273). Die Reaktionen der Gruppe spiegeln erneut einen Konsens wider: Die Beschimpfungen werden allgemein ins Lächerliche gezogen.

Ein großes Problem für die regelmäßigen Schreiber in dieser Nachrichtengruppe stellt der Spam dar. Die schiere Menge von Artikeln, die das Thema Vampire überhaupt nicht berühren, scheint stellenweise die Kommunikation zu stören. In einem Artikel (av/1143) wird daher vorgeschlagen, eine neue Nachrichtengruppe mit anderem Status zu schaffen. Anstelle der Möglichkeit für jeden, in diesem Forum zu schreiben, soll es moderiert werden. Bei einer moderierten Nachrichtengruppe ginge jeder Beitrag zuerst an einen Moderator, der entschiede, ob ein Artikel erscheint oder nicht. Der Moderator nähme die Position eines Zensors ein. In einer ausführlichen Diskussion wird das Für und Wider einer solchen Änderung erwogen. Dabei treten Unkenntnis des Usenet (Nachrichtengruppen der alt-Hierarchie könnten nicht moderiert werden (av/1547)) und Mißverständnisse (geht es um eine neue Nachrichtengruppe oder um eine Änderung des Status der bestehenden? (av/1580)) zu Tage. Die Diskussion berührt verschiedene Punkte:

  • Andere Möglichkeiten, mit Spam umzugehen, etwa die Verwendung von Filtern, werden vorgeschlagen. (av/1235)
  • Welche Berechtigung gibt es, festzulegen, ob ein Artikel für die Nachrichtengruppe geeignet ist? (av/1244)
  • Moderierte Nachrichtengruppen sind unbeliebt (av/2505).
Schließlich äußert die Initiatorin des Vorschlags selbst Bedenken gegen eine moderierte Nachrichtengruppe: Der Charakter des Forums, der sich in Spontaneität und Schnelligkeit der Antworten äußere, ginge verloren. Es solle nur noch erwogen werden, ob die Nachrichtengruppe in eine andere Hierarchie, die weniger von Spam betroffen ist, verlegt werden könnte (av/2325). Für besonders bemerkenswert halte ich in diesem Zusammenhang die Unkenntnis des Usenet. Der in av/1547 ausgesprochenen Vermutung, Nachrichtengruppen der alt-Hierarchie könnten nicht moderiert werden, wird nicht durch einen Verweis auf eine generelle Klarstellung, wie sie z.B. in news.announce.newusers zu finden wäre, begegnet. Statt dessen wird der Nachweis moderierter Nachrichtengruppen in der alt-Hierarchie empirisch geführt. In Artikel av/2154 listet Sableagle sieben Foren auf, die über ihren Namen (z.B. alt.2600.moderated) auf ihren Status verweisen.

Bisher ist der Blick auf das Innenleben der Nachrichtengruppe vernachlässigt worden. An zwei Punkten möchte ich dieses Versäumnis nachholen. Erstens: Ich habe eingangs bemerkt, die behandelten Themen muteten befremdlich an. Ein genauerer Blick auf die Themen soll zeigen, daß zwar die Thematik, nicht aber der Umgang damit fremd wirkt. Zweitens: Die Reaktionen auf die oben bereits angesprochene Geschichte ,,ever have one of....`` werfen ein Licht auf die gruppeninternen Verhältnisse.

Befremdlich wirkt in der Nachrichtengruppe die Abweichung vom rationalen Konsens. Vampire gelten als Phantasiegestalten, die aus dem Volksglauben stammen und dessen Legenden in der Literatur fortgeschrieben werden. Wenn die Frage geäußert wird, ob Vampire verhungern können, so setzt die Frage nicht nur voraus, daß Vampire existieren (av/1525), sondern stellt den ,,gesunden Menschenverstand`` hintan. Die Abweichung wird in den Antworten fortgeführt, wenn es heißt: ,,I have never known a vampire to starve`` (av/1628). Werden jedoch sowohl Frage als auch Antwort auf den Rahmen bezogen, welchen die Gruppe mit den Literaturempfehlungen und dem Katalog der häufig gestellten Fragen sich selber setzt, wird deutlich, daß hier, wie in jeder Exegese, versucht wird, Antworten innerhalb dieses Rahmens zu geben. Unterstrichen wird diese Feststellung durch den expliziten Bezug auf die Bestsellerautorin Anne Rice, die eine Reihe von Vampir-Büchern verfaßt hat.(93) Brightshade löst die Frage in einen fiktionalen und einen realen Teil auf und beantwortet den ersten mit einem Beispiel aus Rice' Romanen; dort fiele ein Vampir ohne Nahrung in Schlaf. In der Realität, so fährt er fort, käme ein Vampir zwar ohne Nahrung aus, aber ,,it deadens our abilities`` (av/1667). Im Gegensatz zur klassischen religiösen Exegese existiert kein festgeschriebener Kanon von bestimmten Schriften. Als Basis für die Auslegung wird das wachsende Spektrum der Vampir-Literatur, sowie Vampir-Darstellungen anderer Medien, etwa Film und Video, aber auch Rollenspiele auf dem Netz angenommen. Die Aufforderung, die Legende fortzuschreiben und selbst eine originelle Lösung zu entwickeln (av/1990), durchbricht zwar den Rahmen der klassischen Exegese, beschreibt in diesem Fall jedoch nur den Status quo einer sich ohnehin verändernden Basis für die Auslegung.

Auch in einem zweiten Gesprächsfaden offenbart sich hinter der Fassade des abwegig wirkenden Themas ,,Psi-Vampire`` eine herkömmliche Denkweise. In Artikel av/1710 geht es dem Autor um eine Heilungsmethode für Psi-Vampire:

,,People who train themselves to be psi-vamps have always told me they drain life-energy, whereas natural psi-vamps have told me they drain emotions. The key to a cure then would be to determine exactly what emotions the psi-vamps drains. Emotions are produced by chemical reactions in the brain. By determining which emotion is drained and then finding out which chemicals are responsible for that emotion, we find what the psi-vamp is really draining.

This chemical would be the one the psi-vamp is lacking or has the chemical imbalance in. Find the chemical and then feed it to the psi-vamp. No more draining¡` (av/1710)

In dieser Mitteilung versucht der Autor eine Verkettung von Ursache und Wirkung herzustellen. Eine solche Verkettung stellt eigentlich keine Besonderheit dar, nur wäre in diesem Fall, eben weil es sich um Phantasiegestalten handelt, eine Abkehr von diesem Schema denkbar. Als Prämisse der Verkettung dient ihm die Feststellung, daß Emotionen durch chemische Reaktionen im Gehirn entstehen sollen. Die Krankheit eines Psi-Vampirs besteht in einem Mangel an bestimmten Chemikalien. Dieser Mangel soll im Fall des Psi-Vampirs durch das Saugen von Emotionen bei anderen Menschen ausgeglichen werden. Für die Heilung des Psi-Vampirs ist es dann nur notwendig herauszufinden, welche Chemikalien welche Emotionen verursachen, sowie welche Emotionen ein Psi-Vampir bevorzugt saugt. Die Krankheit kann dann durch Zuführung der fehlenden Chemikalie behandelt werden. Das Denkmuster von Ursache und Wirkung wird in zwei Formen vorgeführt. Zum einen zeigt sich die Krankheit, das Dasein als Psi-Vampir, als Wirkung eines Mangels an bestimmten Chemikalien. Zum anderen läßt sich die Heilung (Wirkung) durch die Zugabe der fehlenden Chemikalien behandeln. Zusätzlich zeigt sich hier eine Verwandschaft zu bekannten Krankheiten: Anhand der Beschreibung könnte vermutet werden, bei diesem Gedankenspiel habe die Vorstellung von Diabetes, wo Insulinmangel durch entsprechende Injektionen ausgeglichen wird, Pate gestanden.

Die Reaktionen auf diese Mitteilung legen die Schwachstelle der Argumentation bloß: Psi-Vampire bräuchten keinen physischen Kontakt zu ihrem Opfer, um an deren Emotionen zu gelangen. Daraus ergibt sich die Frage, wie die fehlenden Chemikalien transferiert werden sollten (av/1826). Im weiteren Verlauf der Diskussion versuchen sich die Autoren an unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten des Problems.

Die Diskussion, die sich an die Mitteilung mit dem Titel ,,ever have one of....`` (av/2029)   anschließt, wirft ein Licht sowohl auf den Umgang miteinander als auch auf das Geflecht der Beziehungen innerhalb der Gruppe.

,,Those nights wherein your only solace is the outdoors, the black of night. But for those of you like me who live in a city, its never really the black of night, but you get the jist of what I mean. The humm of the traffic soothing the savage rage inside. The caress of the wind the only touch you know and allow to run thru your body at will.

The cold cool steel against your skin as you debate the pro's and con's of what you are setting out to do, who it would hurt and most importantly, would anyone even notice..

Putting it away _again_ losing the courage you thought you had..`` (av/2029)

Der Artikel wird mißverstanden. Gemeint ist er von der Autorin ,,the fugue`` als ein ,,really weird style poem``, wie sie zwei Tage nach der Veröffentlichung schreibt (av/2383). Andere lesen es als eine ernsthafte Erwägung, sich selbst zu töten und reagieren mitfühlend (av/2023) beziehungsweise mit heftiger Ablehnung (av/2280). Sean, der Autor der mitfühlenden Zeilen greift dann die heftige Ablehnung des anderen - Johnny - an, weil diese verletzend sei. Er bezeichnet ,,the fugue`` als Freundin, die er in Schutz nehmen wolle (av/2133). Shianne greift in die Auseinandersetzung ein und versucht erfolgreich, Sean zu beruhigen (av/2292), wie aus seinen Reaktionen hervorgeht (av/2166, av/2349). ,,the fugue`` bestätigt, daß Sean sie kennt: ,,Yes he does know me, we have corresponded in the past``, gesteht jedoch Johnny eine Meinung zu (av/2387). Johnny verteidigt seinen Standpunkt und legt dar, daß er nicht ,,the fugue`` gemeint habe, die er auch als Freundin betrachte, sondern nur allgemein seine Gedanken zum Selbstmord formuliert habe (av/2610). In seiner Antwort bezieht sich Sean dann darauf, daß das Mißverständnis über E-Mail bereits ausgeräumt sei (av/2520). Brightshade nimmt ebenfalls Stellung zu der Mitteilung von Johnny und wirft ihm vor, unzeitgemäß kalt reagiert zu haben (av/2297). ,,the fugue`` nimmt Johnny auch hier in Schutz und erklärt, daß er sie sicher nicht verletzen wollte (av/2304). Johnny reagiert auch auf den Vorwurf von Brightshade und rechtfertigt sein Schreiben (av/2495).

Im Gegensatz zu den sonstigen Mitteilungen werden hier an vielen Stellen Emotionen ausgedrückt. ,,the fugue`` schließt zwei ihrer Artikel mit ,,*hug*`` (94) ab, und immer wieder wird die Anrede ,,cheri`` benutzt. Es entsteht der Eindruck, die Schärfe der Auseinandersetzung, die hier zwischen Gruppenmitgliedern ausgetragen wird, solle durch solche Betonungen der Zuneigung abgefedert werden. Die Intention, den Zusammenhalt der Gruppe nicht zu gefährden, kann auch den Mitteilungen von ,,the fugue`` zugeschrieben werden, wenn sie Johnny vor den Vorwürfen in Schutz nimmt und seinen Artikel als eine Meinungsäußerung wertet. Die gleiche Absicht kann dem Artikel Shiannes unterstellt werden, wenn sie versucht, Sean zu beruhigen. Zuletzt scheint auch den eigentlichen Kontrahenten die Gruppe mehr am Herzen zu liegen als ihr Zwist. Die Bereitschaft, ihre Meinungsverschiedenheit im direkten Kontakt über E-Mail auszuräumen, sowie der moderate Ton in den Artikeln, in denen sie sich direkt ansprechen, läßt eine solche Deutung zu.

Abschließend soll noch eine Besonderheit zur Sprache gebracht werden, deren Erscheinung in der Stichprobe auf alt.vampyres beschränkt ist. In einigen Artikeln sind die Signaturen mit ,,Gothcodes`` versehen (z.B. av/205, av/904).   Ein Gothcode besteht aus einer Folge von Buchstaben, die eine durch den Code definierte Bedeutung tragen. Den Buchstaben folgen Minus- oder Pluszeichen, welche die Bedeutung des Buchstabens abschwächen oder betonen; ein Beispiel: ,,Gothcode 2.0: GoAn]GoBi[+ TZ cBKs++ PPe(!L) V- M++ZGo(Ja!!) C+ a21-n+O b: H156 g-! m-?& w+AT r-P D+-! h-s10 k+SsYn N0993nw LusPA)NH(`` (av/904). Das Beispiel beginnt mit der Festlegung der Versionsnummer des Gothcodes. Danach folgen, abgetrennt durch Leerzeichen, Hinweise auf die Ausbildung, generelles Aussehen, Haarfarbe und -länge, Charakter, Verhalten, Musikgeschmack, Verhältnis zur Technik, Alter, körperliche Erscheinung, Größe, Status innerhalb der Goth-Szene, Makeup, Abstand im Verhalten und Denken zu den ,,Normalen``, Religiosität, Verhältnis zu Drogen, sexuelle Orientierung, sexuelle Vorlieben, Netzbenutzung und Wohnort.(95) Die Genauigkeit, mit der Autoren hier Auskunft über sich selbst erteilen, erstaunt.

Vor allem anderen sollte deutlich geworden sein, daß in dieser Nachrichtengruppe die Verquickung eines öffentlichem Forums mit den regelmäßig in ihm schreibenden Autoren prägend ist. Dieser Sachverhalt ließ sich über verschiedene Phänomene nachweisen. Dazu gehört, daß in alt.vampyres auf die Netiquette, wie sie in news.announce.newusers formuliert ist, kaum Rücksicht genommen wird. An deren Stelle treten Verhaltensregeln, die im FAQ der Nachrichtengruppe niedergelegt sind und sich weniger mit formalen Ratschlägen als mit dem angemessenen Inhalt von Artikeln befassen. Bei den regelmäßig Schreibenden handelt es sich um eine eine relativ kleine Gruppe: Die 3146 Artikel stammen von 856 Verfassern. Zwölf Autoren zeichnen für ein knappes Drittel aller Artikel in dieser Nachrichtengruppe (1045) verantwortlich. Bei der Bezeichnung als ,,Gruppe`` muß allerdings eingeschränkt werden, daß ihre Mitglieder nicht genau festgestellt werden können. Die Bezeichnung dürfte jedoch zumindest insofern berechtigt sein, als nicht nur ein Konsens zu bemerken ist, sondern auch unterschiedliche Rollenzuschreibungen vorgenommen werden.

Der Konsens äußert sich in der unbestrittenen Verwendung von Pseudonymen, der Art und Weise, wie mit negativen Äußerungen über die Gruppe umgegangen wird und darin, sich einmütig scheinbar abseitiger Themen anzunehmen. Von einer Gruppe zu sprechen, erlaubte allein die Tatsache der Übereinstimmung von Fremd- und Selbsteinschätzung, wie sich in der Verwendung von ,,ihr`` und ,,wir`` ausdrückt, nicht. Die Besonderheit hier besteht zum einen in der ansatzweisen Festlegung von Gruppenmitgliedern, wie sie sich in den Listen zeigt. Zum anderen bleibt es nicht bei Rollenzuschreibungen, sondern die Gruppe als Ganzes hält sich, sozusagen, mit Horvath einen Außenseiter. Er fungiert als Negativbeispiel und hat im Gegensatz zu den meisten anderen Verfassern, die in der Nachrichtengruppe schreiben, einen Namen in der Gruppe.

Die Diskussion um die Einführung einer Bewertungsskala für Mitteilungen von Neulingen, und noch sehr viel mehr die Diskussion um den Umgang mit Spam, die zum Vorschlag einer moderierten Nachrichtengruppe führt, zeugen von einer Tendenz zur Abschottung.

Die Behauptung in Abschnitt 2.2.4., daß weder eine zentrale Hierarchie wahrgenommen wird, noch die Sozialisationsinstanz in der Nachrichtengruppe news.announce.newusers wirksam ist, kann hier als bestätigt gelten. Die Netiquette für das Usenet wird im FAQ zwar als bekannt vorausgesetzt, in den Artikeln jedoch kaum berücksichtigt. Hinzu kommt die Beobachtung, daß Funktionsweise und Regeln des Usenet zu großen Teilen unbekannt sind. Anders läßt sich die Diskussion um die Schaffung einer neuen Nachrichtengruppe nicht verstehen. Dieser Umstand legt den Schluß nahe, daß kaum ein Teilnehmer der Diskussion die Artikel in der einführenden Gruppe gelesen hat. Wenn außerdem, wie geschehen, der Nachweis moderierter Gruppen in der alt-Hierarchie empirisch geführt wird und kein Hinweis auf mögliche Informationsquellen, die das Procedere zur Einrichtung einer Nachrichtengruppe beschreiben, auftaucht, scheint es grundlegende Unterschiede in der Wahrnehmung des Usenet zu geben: Während jene, die sich um die Administration des Usenet bemühen, in der news-Hierarchie eine zentrale Instanz sehen, spielt sie in dieser Nachrichtengruppe keine Rolle.


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