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4.2.1. Jargon

 

Auf der inhaltlichen Ebene könnte sich zuerst die Vermutung einstellen, daß der Unterschied in der Verwendung von elaboriertem bzw. restringiertem Code, der im Bereich der gesprochenen Sprache auf den sozialen Status der Sprecher verweist, im Bereich der textbasierten Kommunikation ebenfalls eine große Rolle spielt. Die Stichprobe bestätigt die Vermutung jedoch nicht. Die Unzahl von Tippfehlern, die sich in den Artikeln zeigt, dürfte eher als Beleg für den informellen Charakter der Artikel anzusehen sein. Es kommt hinzu, daß Englisch die lingua franca des Usenet darstellt, und die Erwartungen in bezug auf die Einhaltung der Regeln der Grammatik, Orthographie und Interpunktion, aber auch in bezug auf die Wortwahl im Angesicht eines internationalen Nutzerkreises heruntergeschraubt werden müssen. Dadurch wird die Möglichkeit der sozialen Differenzierung über die Sprache zumindest in den englischsprachigen international verteilten Hierarchien des Usenet zum großen Teil entwertet.

Trotzdem erlaubt der Gebrauch bestimmter sprachlicher Eigentümlichkeiten auch eine Form der Differenzierung. Die Verwendung verkürzter Floskeln wurde bereits angesprochen (s. Abschnitt 3.2.3). Kürzel stellen im Bereich der Kommunikation keine Besonderheit dar. Im Seefunkdienst dient eine ganze Reihe von willkürlich definierten kurzen Zeichenfolgen der Abwicklung eines relativ komplexen Informationsaustausches. Im Bereich des Amateurfunks haben sich dagegen Kurzformen eingebürgert, die ähnlich den im Usenet gebräuchlichen, Floskeln durch Lautmalerei und die Anfangsbuchstaben der Worte zusammenfassen: z.B. ,,CUL`` für ,,See you later``. Teilweise sind die Kurzformen des Amateurfunks über die Zwischenstation des ,,talk mode``(117) in das Usenet eingeflossen. Andere Kürzel stammen aus dem IRC-ähnlichen ,,Chat`` der Online-Dienste (118) oder den MUDs (119).(120) Als Gemeinsamkeit der Kurzformen läßt sich festhalten, daß sie die Anzahl der benötigten Zeichen reduzieren und die Tipparbeit verkürzen. Im Fall der synchronen Kommunikation können sie zusätzlich die Verständigung beschleunigen. Bei der asynchronen Kommunikation über das Usenet läßt sich beobachten, daß nur ein Teil des Jargons angewandt wird. In der zeitversetzten Kommunikation erweisen sich Rücksichten auf eine synchrone Verbindung, wie sie sich z.B.über ,,BRB`` (be right back) ausdrücken, als überflüssig.

North stellt in seiner bereits angesprochenen Arbeit die These auf, daß die Kürzel als ein Zeichen für den Einfluß der Hackerkultur auf das Netz anzusehen sind.(121) Die unterschiedlichen Wurzeln zeigen jedoch, daß diese Behauptung nur bedingt richtig ist. Nur ein kleiner Teil der Abbreviaturen stammt tatsächlich aus dem Hackerumfeld. Somit darf dieser Einfluß nicht überschätzt werden. Für die Annahme, daß die Hackerkultur in den Anfangszeiten des Usenet prägend gewesen ist, spricht die ursprüngliche Namensgebung ,,Unix User Network``: Ein Netzwerk für jene, die sich mit dem Betriebssystem Unix befaßten. Der Einfluß scheint zurückgegangen zu sein. Bestimmte Formen, wie logische Werte, die sich allgemeiner Verständlichkeit entziehen (122), sind kaum anzutreffen. Der Schluß liegt nahe, daß der Einfluß der Hackerkultur aus heutiger Sicht nur noch eine untergeordnete Rolle spielt.

Kaum eine Einführung verzichtet darauf, zumindest einige der gängigsten Kürzel aufzuschlüsseln.(123) Trotzdem läßt sich unterstellen, daß sie nicht nur einer Abkürzung der Verständigung dienen. Da auch die Kurzformen erst erlernt werden müssen, können sie den Zweck erfüllen, zwischen Eingeweihten und Adepten eine Differenz herzustellen. Autoren, die ihren Text mit solchen Federn schmücken, signalisieren, daß sie mit den ,,Mysterien`` des Usenet vertraut sind. Zugleich grenzen sie sich damit gegenüber den Unkundigen ab (s. sce/866).

Bemerkenswert an der Stichprobe ist, daß die Kürzel kaum Verwendung finden. North' Betonung dieser sprachlichen Eigenheit wirkt daher noch eine Spur verwunderlicher. Es besteht allerdings kein Grund, seiner Betonung zu mißtrauen. Auf der Basis dieser unterschiedlichen Beobachtungen einen Schluß zu ziehen, verbietet sich. Werden aber die Nachrichtengruppen, aus denen die von North zitierten Artikel stammen, berücksichtigt, sticht eine Häufung technisch und administrativ orientierter Nachrichtengruppen hervor. Daran läßt sich zumindest eine Spekulation knüpfen: Der Jargon träte demnach eher in solchen Nachrichtengruppen auf, deren Fokus auf der Technik oder dem Usenet selbst liegt. Auf Grund dessen ließe sich folgern, daß die eben beschriebene Herstellung eines Unterschieds zwischen Neulingen und ,,alten Hasen`` nur in bestimmten Nachrichtengruppen wirksam ist. Auf Grund des geringen Anteils an Kürzeln in der Stichprobe könnte geschlossen werden, daß sie in keiner der Nachrichtengruppen diesen Sinn, den einer Abgrenzung, erfüllen können.


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