Sinn und Unsinn der Signatur

Im Rahmen der Beschäftigung mit dem Usenet, konnten Gedanken über Sinn und Unsinn von Signaturen nicht ausbleiben. Das Usenet in seiner bisherigen Form gibt das Problem auf, die Selbstdarstellung auf ein Minimum zu beschränken. Mein Schluss damals lautete, Signaturen seien der Zopf mittels dessen sich die Einzelnen aus dem Meer des Textes ziehen. Da Signaturen in der Regel in unveränderter Form an jede Mitteilung im Usenet oder auf Mailing-Listen angehängt werden, lassen sie sich als persönliche Stempel interpretieren. Sie sollen dafür sorgen, dass die Einzelnen, die in all den gleichförmigen Texten unterzugehen drohen, sichtbar bleiben.

Zwei Beobachtungen können diese Ansicht stützen. Erstens arbeiten in der Regel nur zwei Gruppen von Leuten ohne Signaturen. Die einen wissen schlichtweg nicht, wie sie ihre Programme konfigurieren sollen. Die Namen der anderen sind häufig bereits so bekannt, dass sie sich den Luxus leisten, auf die Anhängsel zu verzichten. Sie brauchen keinen individuellen Stempel mehr. Der ist bereits mit ihrem Namen verbunden.

Zweitens taucht immer wieder der Wunsch auf, HTML als Auszeichnungssprache auch im Usenet einzuführen. Endlich wäre der Weg frei, jede Mitteilung nach Lust und Laune der Einzelnen zu gestalten. Der Hintergrund in schwarzbraun, die Buchstaben in knallrot vermelden, dass ich heute fies drauf bin, und in der Signatur findet ihr ein Bild meines Teckels Waldi, denn der ist der einzige, bei dem ich Trost finde. So könnte die Selbstdarstellung, die - beschränkt auf den Text - so schwierig ist, schließlich wieder gelingen.

Eine andere Beobachtung stellte die schreckliche Ambivalenz der Mitteilungen im Usenet fest. In den Nachrichtengruppen des Usenet erweisen sich vom Sender für eindeutig gehaltene Beiträge mit einem Mal durch Interpretationen und Abschweifungen als erstaunlich vieldeutig. Da wird aus dem Zusammenhang gerissen, die Worte werden verdreht, auf naive Fragen folgen verbale Keulen. Wenn die Annahme richtig ist, dass Mitteilungen immer auch ein Stück Selbstdarstellung beinhalten, dann können sich im Usenet bei wenig gefestigten Naturen Zweifel am Selbst einstellen. Die anderen hängen eine Signatur an. Und darin wird das Selbst behauptet. Mit Adressen und Telefonnummern wird es verortet, über Sinnsprüche schaut die Weltanschauung hervor und die Geek-Codes geben in geraffter Form detaillierte Auskünfte über Vorlieben und Abneigungen.

Aus diesen Überlegungen hat sich dann die Idee ergeben, einen anderen Weg zu beschreiten: Wie wäre es, anstatt den Kampf gegen Windmühlen aufzunehmen, mit den geschilderten Tendenzen affirmativ umzugehen. Sich also nicht gegen das Verschwinden und Zerfließen zu wehren, sondern im Gegenteil es in die eigenen Mitteilungen hineinzunehmen?

Vorgefertigte Spruchsammlungen zu benutzen, wie sie für die beliebten Glückskeks-Programme existieren, wäre unpersönlich und langweilig gewesen. Zudem werden die Programme häufig eingesetzt und haben damit einen hohen Bekanntheitsgrad. Nur der Mechanismus, aus einer Sammlung zufällig ein Zitat herauszugreifen, war sympathisch. Für Zitate aus den Artikeln anderer Schreiber hätte es die Höflichkeit verlangt, sie um Erlaubnis zu bitten, und damit wäre zu viel Aufwand entstanden. Die Literatur zu missbrauchen, schien vielversprechender: Ein unerschöpfliches Reservoir einander widersprechender Töne und Stimmen.

Für die Auswahl brauchte es nur ein paar Spielregeln. Verboten sind Sentenzen, wie sie in irgendwelchen Zitatenlexika versammelt sind. Die Zitate dürfen auch mitten im Satz beginnen. Es gilt der Zufall, welcher Ausriss unter welchen Artikel gerät. Eine Zuordnung der Zitate zu den Werken oder Autoren unterbleibt, weil damit schon wieder eine gewisse Eindeutigkeit geschaffen würde. Schließlich gilt für die Auswahl der Zitate nur die Regel, dass sie mir, aus welchen Gründen auch immer, zusagen. Zustimmen muß ich nicht.

Ob das Spiel erfolgreich ist, kann ich nicht beurteilen. Ich befürchte jedoch, dass mittlerweile diese Art, die Signatur zu gestalten, zu meinem persönlichen Stempel geworden ist. Schade, eigentlich.