Wegen der Osterfeiertage kam es zu Koordinationsschwierigkeiten und der Artikel erschien sowohl in Telepolis (03.04.99) als auch in der taz (8.4.1999, Seite 13), in Netpol sowieso. (14 vom 14.04.99)

Musikalische Viren

Ein Virus geht um im Netz. Im Unterschied zu den bekannten Variationen kleiner zerstörerischer Programme bewirkt er jedoch andere Veränderungen. Für die Verbreitung sorgt auch nicht das unwillkürliche Kopieren von einem Rechner auf den Nächsten, sondern eine Überzeugung wird bewußt weitergetragen: Die Ansicht Software solle frei von Restriktionen verteilt werden können.

Neuerdings demonstriert dieser Virus seine Fähigkeit, den Wirt zu wechseln. Statt sich auf den Bereich der Software zu beschränken, dehnt sich sein Wirkungsgebiet nun auch deutlich auf andere Gebiete aus.

Als das Goethe-Institut in Tokyo im letzten Jahr die Veranstaltungsreihe »TechnoKulturen 1998«[1] organisierte, nahmen vier Studenten der beteiligten Keio Universität den Anlaß wahr, GNUsic[2] zu gründen. Unter dem aus GNU und Music zusammengesetzten Namen sollen Klangdateien, Werkzeuge und Programme im Rahmen eines offenen Studios für elektronische Musik bereitgestellt werden.

Die Verbundenheit mit dem Gedanken der freien Software signalisiert schon der Name. Den Anknüpfungspunkt lieferte Richard Stallman bereits 1985, als er mit seinem GNU Manifest[3] dazu aufrief, sich an der Entwicklung eines Betriebssystems zu beteiligen. Seitdem hat sich der Gedanke freier Software auf breiter Bahn durchgesetzt.

Die Anlehnung der fünf Kernmitglieder von GNUsic an das GNU-Projekt entspringt einer klaren Affinität zu Musik und Computern. Kenji Yasaka betreibt bereits seit 1995 die Web-Site »dotcom«.[4] Über eine grafische Schnittstelle sind Besucher eingeladen, dort zu komponieren. Kohji Setoh legt unter dem Namen dj denca Platten in Tokioter Clubs auf und beteiligte sich ebenfalls an einer interaktiven Musik-Website unter dem Namen »Variations«[5]. Ähnliches gilt auch für die anderen Mitglieder Akihiro Kubota, Atsushi Tadokoro und Shunichiro Okada.

GNUsic verknüpft nun bewußt die zwei verschiedenen Kulturen der elektronischen Musik und der freien Software miteinander. Die Anlehnung an das GNU-Projekt lag nahe, so Kenji Yasaka, weil das Ziel war, ohne in Konflikt mit dem Copyright anderer Künstler zu geraten, auch auf deren Arbeiten zurückgreifen zu können. Entsprechend wurden die Arbeiten unter der GNU General Public License (GPL)[6] veröffentlicht.

Mit der Wahl der GPL steuert GNUsic vom Copyright zum Copyleft. Die Musiker geben damit die Rechte an ihren Veröffentlichungen nicht auf, aber sie erweitern die Möglichkeiten anderer. Wenn etwa Gang Starr einen Basslauf von Charles Mingus verwenden wollen, ist die Rechtsabteilung der Plattenfirma gefragt. Unter Angabe von Stelle und Länge des Ausschnitts muß die Genehmigung der veröffentlichenden Firma eingeholt und eventuell ein Preis ausgehandelt werden.

Die Arbeiten von GNUsic stehen dagegen allen Interessierten zur Verfügung. Das heißt nicht, daß ihre Musik generell umsonst zu haben wäre. Die Besonderheit der GPL geht vielmehr dahin, daß die Verwendung eines Samples von GNUsic für den Komponisten bedeutet, auch seine Arbeit wieder unter der GPL veröffentlichen zu müssen. Insofern handelt es sich auch bei der GNU Lizenz um einen sich selbst duplizierenden Virus.

Musik aus Spaß an der Freude umsonst zur Verfügung zu stellen, hat im Netz Tradition. Tauschbörsen für Midi-Dateien[7] oder Modtracker-Arbeiten[8] existieren schon länger. Auch außerhalb des Netzes lassen sich entsprechende Haltungen aufspüren. Zu der Zeit, als das Netz noch in den Kinderschuhen steckte, verwöhnte die Gruppe Grateful Dead ihre Konzertbesucher mit der Möglichkeit, die Darbietung nach eigenem Gutdünken mitschneiden zu dürfen. Ähnliches gilt für die Szene der elektronischen Musik. Diese, so erzählt Ulrich Rehberg, selber Musiker und Händler ausgefallener Klangspiele in Hamburg, arbeitet seit Ende der 70er Jahre in einem freizügigen Austausch zusammen. Tonbänder oder auch CDs werden über den herkömmlichen Postweg zur weiteren Bearbeitung an Kollegen verschickt.

Hier eröffnet das Netz andere Möglichkeiten: Wenn im Kreis der angesprochenen elektronischen Musiker, Tonbänder von Hamburg nach Tokio gehen und dann über Mailand in Los Angeles landen, läßt sich in den hinteren Gliedern der Kette nicht mehr auseinanderhalten, wer was beigesteuert hat. Dagegen erhoffen sich die Gründer von GNUsic auch eine Transparenz des Produktionsprozesses. Mit der Pflicht, den gemeinsamen Pool an Klängen um das zu bereichern, was ihm entnommen wurde, werden einzelne Arbeitsschritte nachvollziehbar.

Darüberhinaus ermöglicht es die Technik einen größeren Kreis von Interessenten einzubeziehen als er über persönliche Bekanntschaften erreichbar wäre. Zugleich schützt die GPL die Kompositionen vor dem Mißbrauch, der bei einem zahlreicheren Publikum weitaus eher gegeben ist, als in einem persönlichen Netzwerk.

Hinzu kommt die Freiheit, das eigene Schaffen ungefiltert veröffentlichen zu können. Es erstreckt sich notwendigerweise auch auf Konzept und Design. Die Web-Seiten setzen die Empfehlungen des W3C um. Logo und Icons, entworfen von Atsushi Tadokoro, werden zurückhaltend eingesetzt, so daß die Betonung auf Kommunikation liegt. GNUsic folgt damit den Spuren vieler unabhängiger Musiker, die sich auch um die Verpackung ihrer Arbeiten bemühen. Mit der Anbindung ans Netz erweitern Gruppenmitglieder jedoch ihr Aufgabengebiet. Da sie selbst als Vermittler auftreten, fällt ihnen nicht nur die technische Betreuung, sondern auch die Programmierung ihres Angebots zu.

Im Sommer 1998 brachte GNUsic ihren Webserver ins Netz, eine Mailing-Liste kam hinzu und - am Wichtigsten - von Anfang an wurden selbstentwickelte Samples zur Verfügung gestellt. Das Beispiel macht noch keine Schule. Zwar hat sich schon ein Kreis von Sympathisanten zusammengefunden, doch mit Beiträgen halten sich die Interessenten derzeit zurück.

Zur Begründung verweist Akihiro Kubota einerseits auf die technischen Schwierigkeiten, wenn es darum geht, Dateien bereitzustellen. Da es registrierten Teilnehmern freisteht, was und wieviel sie zur Verfügung stellen wollen, muß der Rechner auch vor böswilliger Überlastung geschützt werden. Das erschwert die Mitarbeit. Mit einer Optimierung der Web-Seiten will man die Schwierigkeiten, Beiträge zu liefern, jedoch ausräumen.

In anderer Hinsicht hofft Kubota auf die Zeit: die Vor- und Nachteile des GNUsic-Modells seien zu diesem Zeitpunkt noch zu wenig bekannt. Ähnlich wie im Bereich der freien Software lange Jahre die Angst umging, derartige Ansätze könnten auf Dauer Programmierer arbeitslos machen, scheinen auch Musiker davor zurückzuschrecken, ihr Material frei zur Verfügung zu stellen. So vertrat die japanische Pop-Ikone Ryuichi Sakamoto gegenüber GNUsic den Standpunkt, Musiker verdienten ihren Unterhalt in erster Linie durch den Verkauf von Platten.

Ein weiteres Problem sieht Kubota in dem Punkt, daß sich innerhalb der Software-Szene eine Ökonomie herausgebildet hat, in der Ruf und Anerkennung, den sich Entwickler mit ihren Programmen erarbeiten, höher bewertet werden, als monetäre Bestätigungen. In der Musikbranche fehlen solche Maßstäbe weitgehend.

Mittlerweile haben die Japaner Ernst gemacht. Die bereits im Januar angekündigte CD »GNUsic 001« erschien Anfang März. Und natürlich enthalten die Stücke Samples vom Web-Server. In den Läden, bedauert Kubota, kann sie nicht erstanden werden. Dafür stehen die drei enthaltenen Stücke im Web zur Verfügung. Da ein weiteres Problem für die Beteiligung an dem Projekt in den schieren Ausmaßen der klassischen Audio-Formate erkannt wurde, stehen die Stücke als MP3-Dateien bereit. Trotz verlustbehafteter Kompression erreichen sie so quasi CD-Qualität, drücken aber die sonst notwendige Übertragungszeit um den Faktor neun.

Die Entscheidung fiel damit auch für ein heiß umstrittenes Audio-Format. Eben weil Musik in fast originaler Qualität Platz und damit Zeit sparend komprimiert werden kann, hat sich »MP3« im Internet zum meistgesuchten Begriff nach »Sex« entwickelt. Ziel der Suche sind oftmals Raubkopien von Stücken bekannter Musiker. Der Ärger der Industrie über diesen Wildwuchs, entlädt sich derzeit schon in Anschuldigungen der Betreiber auf MP3 spezialisierter Suchmaschinen. GNUsic macht demgegenüber einmal mehr deutlich, daß die Technik hier ambivalent ist.

Mit ihren Veröffentlichungen werden die japanischen Musiker kaum den Weg in die Hitparaden finden. Ihre elektronischen Collagen sprechen eher ein kleines Publikum an. In diesem Kreis sind sie jedoch wohlgelitten. Kohji Setoh und Kenji Yasaka wurden 1998 zur Internationalen Konferenz für Computer-Musik in Ann Arbor eingeladen, um ihre Arbeiten vorzustellen. In der diesjährigen Ausgabe des von der Internationalen Gesellschaft für Kunst, Wissenschaft und Technik herausgegebenen Musikjournals Leonardo[9] wird auch ein Beitrag von GNUsic enthalten sein.

Einer Ausbreitung des Virus steht damit nichts im Wege. Eine Epidemie dürfte jedoch vorerst ausbleiben, meint Akihiro Kubota, denn vielen Musikern fehle noch die Gewandheit im Umgang mit digitaler Technik.

[1] http://www.goethe.de/techno/
[2] http://www.gnusic.net/
[3] http://www.gnu.org/gnu/manifesto.html
[4] http://www.dotcom-studio.com/
[5] http://platinum.sfc.keio.ac.jp/~sns/va/index.html
[6] http://www.gnu.org/copyleft/gpl.html
[7] http://s-allen.home.mindspring.com/picks.html
[8] http://www.mono211.com/
[9] http://mitpress.mit.edu/e-journals/Leonardo/lmj/sound.html