Erschienen in der Berliner Zeitung (1999-11-24).
Was darunter steckt
Die Bundesregierung unterstützt zum ersten Mal die Entwicklung von freier Software
Ungewöhnliche Wege beschreitet das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), um Anwendern in Zukunft die sichere Kommunikation über das Internet zu ermöglichen. Mit 318 000 Mark fördert das BMWi die Entwicklung der freien Software Gnu Privacy Guard (GnuPG). Mit dem Programm kann man E-Mails so verschlüsseln, dass nur Sender und Empfänger sie lesen können. Es ist das erste Mal, dass in Europa eine Regierung die Entwicklung freier Software unterstützt.
Hubertus Soquat, Referent für Informationstechnologie im BMWi, bezeichnet die Unterstützung für das Verschlüsselungsprogramm als ein "Pilotprojekt, dem weitere folgen sollen". Sicherheit ist das zentrale Anliegen des Wirtschaftsministeriums. Je mehr Menschen dazu übergehen, auch vertrauliche Mitteilungen über das Internet auszutauschen, desto wichtiger werden die Mechanismen, die den Inhalt schützen.
Zentrale Bedeutung erhält dabei die Möglichkeit, die Funktion einer Software beurteilen zu können. Doch den dafür notwendigen Einblick verwehren herkömmliche Programme. Software, wie beispielsweise die von Microsoft, liegen nur im Maschinencode vor: Computer verstehen die Anweisungen, dem Betrachter bietet sich unter der grafischen Benutzeroberfläche mit ihren "Windows" und "Icons" jedoch nur Zeichensalat. Der den Programmen zu Grunde liegende Quellcode, verfasst von Programmierern in Redmond, bleibt Geschäftsgeheimnis. Das ist, als wäre bei einem Auto die Motorhaube zugeschweißt, um der Konkurrenz zu verheimlichen, was darunter steckt.
Zwar wird in den USA im Rahmen des Prozesses gegen Microsoft darüber nachgedacht, ob das Unternehmen gezwungen werden sollte, den Quellcode für Windows offenzulegen. Solange das nicht der Fall ist, kann niemand beurteilen, ob die Verschlüsselung von Microsoft sicher ist.
Die Bundesregierung will nun offene, am Markt entwickelte Standards für Verschlüsselungssoftware unterstützen. Im Oktober war von Wirtschaftsminister Werner Müller zu hören, die größte Sicherheit sei "dann gegeben, wenn der Quellcode eines Programms offenliegt". Freie Software erfüllt die Bedingungen: Jeder kann den Ursprungstext eines Programms lesen, kritisieren oder verbessern; Experten können ein verlässliches Urteil abgeben.
Die Entwicklung freier Software geht informelle Wege. Die Autoren veröffentlichen ein Programm im Netz. Stößt dieses Programm auf Interesse, finden sich andere Informatiker, die Teile der Programmierung übernehmen. So begann Werner Koch die Arbeit an GnuPG Ende 1997. Heute arbeiten fünf Autoren aus Deutschland, Kanada, Schweden und Frankreich an der Programmierung.
Der Schritt des BMWi setzt dem Geschehen nun einen institutionellen Rahmen. Die üblichen Vorgaben bei einer Unterstützung müssen erfüllt werden: Das Ministerium fordert einen Projektentwurf, der Zuständigkeiten festlegt und einen Zeitplan aufstellt. Außerdem erwartet es Zwischenberichte über den Stand der Dinge.
Hubertus Soquat sieht die Aktion des Wirtschaftsministeriums als Modell. Es soll die Frage beantworten, ob sich die Entwicklung freier Software steuern lässt. Mit der Einfluss des Staates haben die Programmierer keine Probleme. Georg Greve, Sprecher für das älteste Projekt im Bereich freier Software, GNU, meint: "Freie Software entwickeln sie ohnehin, aber hier werden die Entwickler dafür bezahlt, ihre Prioritäten anders zu ordnen."
Doch warum fördert das Bundeswirtschaftsministerium die Entwicklung eines Programms, wenn das fertige Produkt keinen kommerziellen Wert hat? Schließlich wird auch GnuPG wieder, wie alle freie Software, unentgeltlich im Netz zur Verfügung stehen.
Peter Gerwinski von der Softwarefirma GNU und Anita Götz von dem Münchner Unternehmen LinuxLand, die das Vorhaben unterstützen, sehen den Sinn weniger im Verkauf des Produkts. GNU beteiligt sich an der Programmierung, weil sich das Unternehmen Wettbewerbsvorteile erhofft.
LinuxLand macht aus dem Programm ein Produkt: Es soll, wie andere Software auch, in einer eigenen Verpackung und mit einem eigenen Logo erhältlich sein. Anita Götz verspricht sich dadurch nicht nur eine Demonstration, was freie Software zu leisten vermag. Gewinn bringend soll das Engagement über Dienstleistungen werden: Beratungen, Schulungen und die Unterstützung der Anwender.
Beide Unternehmen können auf erfolgreiche Vorbilder verweisen. Red Hat in den USA und SuSE in Deutschland sind die Paradebeispiele: Sie haben um den Vertrieb von Linux, dem bekanntesten Projekt freier Software, florierende Dienstleistungsunternehmen aufgebaut.
Einem breiten Einsatz von GnuPG stehen verschiedene Aspekte im Wege: Grafische Benutzer-oberfläche, die Integration in gängige E-mail-Programme und eine Version für Windows fehlen. Dies soll nun durch die Finanzspritze des Wirtschaftsministeriums gefördert werden. Ein fertiges Produkt erwartet Anita Götz für das Frühjahr.