Erschienen anonym im Netpol-Digest 11 (9.7.98).

Jugendgefährdend: Das wirklich böse Kettensägen-Massaker

Das Netz ist der Sündenpfuhl der modernen Welt. Das haben Experten wie Petra Müller (jugendschutz.net, s. Netpol 7[1]) und Dr. Rose Götte, Jugendministerin in Rheinland-Pfalz, erst in letzter Zeit erneut bestätigt. Gefahr droht an allen Knoten. Schweinkram bricht unvermutet über harmlose junge Surfer herein, und verschreckt ob der perversen Obszönitäten, verlieren sie die Orientierung und klicken sich weiter in den Sumpf.

Ein Beispiel kann die Wahrheit der Experten-Behauptungen belegen. Harmlos auf der Suche nach Spielen gleitet der jugendliche Surfer über die Seiten und findet den Hinweis[2] auf XEvil[3]. Die Charakterisierung als »verrücktes« Actionspiel erweist sich als irreführend, und da schon Michael Jackson »bad« für »good« erklärte, schreckt auch der Name selbst nicht mehr ab. Runterladen, auspacken, Spiel starten, das ist das Werk von zehn Minuten. Und schon ist die Hölle los.

Bereits auf dem Eingangsbild spritzt das Blut. Bei Spielbeginn vermerkt beifällig ein Zufallstext, Gewalt sei nicht nur die beste Art Probleme zu lösen, sondern die einzige. Mit einem zufällig ausgewählten Avatar - Ninja, Muskelprotz, Roboter o.ä. - sehen sich die Spieler in die hektische Lage versetzt, sich sofort gegen ebensolche Figuren verteidigen zu müssen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Und davon steht ein ganzes Arsenal bereit: Napalm-Granaten, Wurfsterne, Lenkraketen, Laserkanonen - um nur die exotischeren Varianten aufzuzählen. Ja, sogar Kampfhunde können auf die Opponenten gehetzt werden. Hilfsmittel, wie Doppelgänger, Unsichtbarkeitsschirm und Seelentauscher, sorgen für zusätzliche Verwirrung im vertikalen Labyrinth. Ziel des Spiels: die Gegner abschlachten, um nicht selbst zu Boden gestreckt zu werden.

Nicht nur die Verherrlichung von Gewalt steht hier zur Debatte: Das Spiel verführt auch zum Drogenkonsum. Spieler stolpern ständig über PCP und Crack und erleben damit eine vorübergehende, wenn auch schwer zu steuernde Leistungssteigerung der Figuren. Außerdem muß die Gewöhnung an eine generelle Mitleidlosigkeit beklagt werden, wenn Spieler - Gipfel der Abartigkeit - vor der Aufgabe stehen, 40 Seehundbabys massakrieren zu müssen.

Darüber vermittelt das Spiel »dem Nutzer das Gefühl von Macht und Exklusivität - etwas, was für Menschen, die sich gesellschaftlich isoliert oder minderwertig fühlen, durchaus attraktiv sein kann. Hier sind Jugendliche oft besonders betroffen und empfänglich.« (Petra Müller) Und zuletzt macht seine Netzwerkfähigkeit die »raum-zeitliche Verlängerung von Gewalterfahrung« (Monika Gerstendörfer) unmittelbar.

Erste Versuche, junge Leute dieser Software auszusetzen, zeitigten keine eindeutigen Ergebnisse. Die Reaktionen reichten von unreflektierten Äußerungen - »Boah, geil!« - bis zur Entwicklung einer gewissen Finesse, z. B. verfolgende Aliens über gezündete Bomben stolpern zu lassen.

Nachahmungseffekte, etwa häusliche Dispute mit Hilfe von Flammenwerfer oder Kettensäge zu lösen, waren dagegen nicht zu beobachten. Auch zeigten die Probanden keine Neigung, dem Vorbild der Ninjas folgend, Widersachern mit den Füßen vor den Kopf zu stoßen.

Trotzdem sollte das Spiel indiziert und als »Frei ab 85« deklariert werden, denn erst ausreichende Lebenserfahrung gepaart mit einem Mangel an Beweglichkeit dürfte uns vor den zu befürchtenden Spätfolgen bewahren.

[1] http://www.fitug.de/netpol/98/7.html#3
[2] http://www.cs.washington.edu/homes/tlau/tome/bytype.html
[3] http://www.xevil.com/ oder http://www.wpi.edu/~timbuktu/xevil