Erschienen in DIE ZEIT, Nr. 3, 1998, S. 58.

Rote Karte für Raubkopierer

"Digitale Wasserzeichen" sollen Copyright-Piraten das Leben schwermachen

Mit der zunehmenden Ausdehnung der Multimedia-Spielwiese des Internet, des World Wide Web, werden auch immer mehr Bilder und Klänge eingesetzt. Was Zeitschriften und Radiostationen recht ist, nämlich Informationen zu bebildern oder mit Musik zu umrahmen, ist für Anbieter im Web nur billig. Zu billig offensichtlich. Die Klagen über die Mißachtung des Copyrights häufen sich, das intellektuelle Eigentum scheint im Netz nicht viel zu gelten.

Jetzt aber beginnen sich einige Urheberrechtsbesitzer zu wehren. Im Juni 1997 gab der amerikanische Playboy[1] bekannt, daß seine Online-Bilder nun durch ein Verfahren der Firma Digimarc[2] geschützt würden. Die Photos erhielten eine nicht sichtbare Kennzeichnung, ein sogenanntes Wasserzeichen. Der Hintergrund dieser Entscheidung: Die Bilder des Playboy erfreuen sich großer Beliebtheit. Eigentlich sind sie nur zahlenden Abonnenten zugänglich, aber digitale Kopien von ihnen kursieren in den einschlägigen Nachrichtengruppen des Internet mit Namen wie alt.binaries.pictures.erotica.centerfolds.

Das Wasserzeichen soll nun sicherstellen, daß sich unerlaubte Kopien von Bild- und Tondokumenten identifizieren lassen und sogar automatisch auffindbar werden. Bisher ist das praktisch unmöglich: Ob sich auf einem öffentlich zugänglichen Netzrechner in der Datei dingdong.wav eine bestimmte geschützte Sounddatei verbirgt, kann die herkömmliche Software nicht zuverlässig ermitteln. Mit den gängigen Methoden läßt sich nur herausfinden, ob zwei Dateien vollkommen identisch sind. Schon bei minimalen Veränderungen scheitert die Software.

In dieser Situation erscheint eine eindeutige Markierung wünschenswert. Der Vatikan[3] versieht seine Online-Photos mit sichtbaren, durchscheinenden Wasserzeichen, die von IBM entwickelt wurden. Die Firma Kodak[4] bietet für ihr Photo-CD-Format ebenfalls die Möglichkeit einer sichtbaren Kennzeichnung. Die Musikindustrie stellt meist keine ganzen Stücke, sondern nur Ausschnitte zur Verfügung. Solche Verfahren sind angemessen, wenn nur ein Eindruck des Werks vermittelt werden soll. Das grundlegende Problem lösen sie jedoch nicht.

Das ideale Wasserzeichen hinterläßt keine Spuren, es ist weder sicht- noch hörbar. Es muß Veränderungen widerstehen, etwa dem Formatwechsel eines Bildes von GIF- zu JPEG-Codierung. Außerdem soll die Markierung in verschiedenen Medien wirken: Ein Stück Musik, das über den Äther kommt, soll die gleichen Merkmale enthalten wie sein Gegenstück, welches über das Modem auf die Festplatte tröpfelt. An der Lösung dieser Probleme wurde in den letzten zwei Jahren verstärkt getüftelt. Die ersten Ergebnisse werden jetzt praktisch umgesetzt.

Das Funktionsprinzip der Wasserzeichen nutzt die mangelnde Unterscheidungsfähigkeit der menschlichen Wahrnehmung. Geringfügige Abstufungen der Helligkeit entgehen dem menschlichen Auge. Das Ohr kann auf ähnliche Weise getäuscht werden: Zwei Schallwellen, die zeitlich nahe genug aufeinanderfolgen, nimmt das Gehör als eine wahr.

Was der Betrachter nicht sieht und der Hörer nicht bemerkt, kann jedoch der Computer auswerten. So lassen sich durch feine Abstufungen oder Verschiebungen die eigentlichen Bild- und Toninformationen mit weiteren Angaben, zum Beispiel Copyright- oder Eigentümervermerken, verweben.

Das Verfahren, Informationen auf diese Weise zu verstecken, stammt aus der Verschlüsselungstechnik. Unter dem Namen Steganographie[5] werden Methoden zusammengefaßt, die dazu dienen, Nachrichten in einem unverdächtigen Rahmen zu übermitteln. Steganographische Werkzeuge verbergen eine Mitteilung im Rauschen einer anderen. Als Rauschen gelten im nachrichtentechnischen Sinn alle redundanten, also überflüssigen Informationen.

Ein Beispiel: In einem digitalisierten Bild, in dem die Farben durch die Zahlen 0 (Schwarz) bis 255 (Weiß) codiert sind, legt ein Byte (acht Bit) die Farbe eines Bildpunktes, eines Pixels, fest. Wird für ein weißes Pixel in der Folge 1111 1111 das letzte Bit verändert, also in 1111 1110, so lautete der Farbcode auf 254 statt 255. Der Unterschied zwischen Weiß und nicht ganz Weiß ist für das Auge kaum wahrnehmbar. Wenn ein steganographisches Programm das letzte Bit aller Farbpunkte als Rauschen einstuft, kann es in ihnen weitere Informationen transportieren. Ein relativ kleines Bild von 300 mal 300 Pixeln könnte dann schon "unsichtbar" den Text dieses Artikels enthalten.

Digitale Wasserzeichen bauen auf solchen Methoden auf. Damit potentielle Softwarepiraten jedoch die Markierung nicht verändern, wählen die Verfahren verschlungenere Pfade. Im System for Copyright Protection (SysCoP)[6], dessen Grundlagen vom Fraunhofer-Institut für graphische Datenverarbeitung[7] in Darmstadt stammen, wird etwa eine Zufallsauswahl zu kennzeichnender Blöcke aus einem Bild getroffen. Zudem werden zusätzliche Informationen nicht über die Veränderung von Farbwerten gespeichert, sondern die Helligkeit der Bildpunkte moduliert. Um ein solches Wasserzeichen unleserlich zu machen, müßte eine markierte Kopie so sehr manipuliert werden, daß sie mit dem Original nicht mehr viel zu tun hat. Durch eine räumliche oder zeitliche Streuung der Wasserzeichen wird gewährleistet, daß auch Ausschnitte eines Werkes identifizierbar sind. So behauptet die Firma Dice[8] aus Florida, ihr Produkt Argent[9] könne Musikstücke so markieren, daß schon Clips von zwei bis fünf Sekunden Länge eindeutig erkannt werden können.

Die Wasserzeichen führen also den in der digitalen Welt bereits verloren geglaubten Unterschied von Bild und Abbild wieder ein. So können auch Photomontagen erkannt werden: Ein zukünftiger Forrest Gump wird aufgrund unterschiedlicher Kennzeichnungen neben John F. Kennedy immer als Retusche nachweisbar sein.

Die Technik hat ein breites Anwendungsgebiet. So kündigt die in Massachusetts ansässige Firma Aris[10] ein selbständig arbeitendes Programm an, das wie eine Suchmaschine die Rechner im Netz nach unerlaubt eingesetzten Kopien abgrast. Wolfgang Funk vom Darmstädter Fraunhofer-Institut will demnächst mit dem belgischen Fernsehen die Echtzeit-Markierung von Fernsehbildern erproben.

Im Einsatz befinden sich bereits Programme für den Musikvertrieb über das Internet. Seit Anfang November bieten drei Rechner der BMG Entertainment North America[11] ganze Musikstücke zum Herunterladen an. Die Kunden benötigen dazu spezielle Software der Firma Liquid Audio[12], die umsonst zur Verfügung steht. Bevor sie sich auf den Rechnern bedienen dürfen, müssen sich die Kunden registrieren lassen. Ein angefordertes Stück Musik wird dann bei der Übertragung mit einem Wasserzeichen versehen. Eingetragen wird dabei nicht nur ein Urheberrechtsvermerk, sondern auch die Kundennummer. Auf dem heimischen Rechner kann die Musik anschließend beliebig oft abgespielt werden. Die Software achtet jedoch darauf, daß nur eine digitale Kopie auf CD gebrannt werden kann. Zudem soll das Wasserzeichen auch bei einer analogen Aufnahme, etwa mit dem Kassettenrecorder, noch nachweisbar sein.

Die Technik bringt eine Reihe von Bequemlichkeiten mit sich. Vom heimischen Sessel aus kann man mit ihr in digitalen Plattenläden stöbern und sich über Musikausschnitte einen Eindruck neuer CDs verschaffen. Man könnte aber zum Beispiel auch unliebsame Musik aus Radiosendungen herausfiltern. Wenn jedes Stück auch mit dem Namen des Künstlers versehen ist, dürften Sting und Phil Collins manch einen Hörer nie mehr belästigen, weil sie sich automatisch unterdrücken lassen.

Die Technik hat allerdings auch ihre Pferdefüße. Noch gibt es keine Standards. Die Software von Liquid Audio verwendet als Wasserzeichen elektronische DNA der kalifornischen Firma Solana. Die Markierungen von Argent erscheinen dort als Kauderwelsch. Systemgrenzen lassen sich aber noch verschmerzen - sie existieren, seit es Computer gibt, und irgendwann wird sich erfahrungsgemäß ein Marktführer durchsetzen. Für den Nutzer unangenehmer ist die Tatsache, daß er einen erworbenen Musiktitel nur persönlich mit seiner Software abspielen kann. Schon der Möglichkeit, im Freundeskreis Stücke auszutauschen, wird per Wasserzeichen ein Riegel vorgeschoben.

Regelrecht unerfreulich wirkt schließlich die Registrierung. Liquid Audio will ein Lizensierungszentrum aufbauen, in dem die Daten von Kunden, Vertrieben und Verlegern zusammenlaufen - datenschutzrechtlich überaus bedenklich. Die Kundschaft, so scheint es, soll die Vorteile der Technik mit einem weiteren Stück Privatsphäre bezahlen. Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Unterhaltungsindustrie ihre Kundschaft erst einmal generell der Piraterie verdächtigt und mit dem Einsatz der digitalen Kennzeichnung weit über das Ziel, die Sicherung des Urheberrechts, hinausschießt.

Aber noch ist es nicht soweit. Und eine absolute Sicherheit können die digitalen Wasserzeichen wohl doch nicht bieten. Wie schon beim Kopierschutz von Programmen gibt es wieder einen technischen Wettlauf zwischen den Verschlüsselern und findigen Piraten, die den Code wieder knacken. Ein kleines Programm aus Cambridge mit dem Namen StirMark[13] demonstriert den real existierenden Unterschied zwischen Reklame und Realität: Es kann zwar nicht das exakte Original eines markierten Photos wiederherstellen, aber es macht das Wasserzeichen unleserlich, ohne das Bild zu beeinträchtigen.

[1] http://www.playboy.com
[2] http://www.digimarc.com
[3] http://www.christusrex.org/www1/vaticano/0-Musei.html
[4] http://www.kodak.com/aboutKodak/pressReleases/pr950927-3.shtml
[5] http://members.iquest.net/~mrmil/stego.html
[6] http://www.igd.fhg.de/www/igd-a8/Projects/SysCoP/SysCoP_d.html [7] http://www.igd.fhg.de/
[8] http://www.digital-watermark.com/
[9] http://www.digidesign.com/Newdigiweb/Digidevelop/DEVCATALOG/CatPages/Dice.html
[10] http://www.musicode.com/
[11] http://www.bmgonline.com/
[12] http://www.liquidaudio.com/
[13] http://www.cl.cam.ac.uk/~fapp2/watermarking/image_watermarking/stirmark/