Erschienen in c't 11 (2000-05-22), dort erweitert um ein Interview mit Benno Penzkofer, Leiter der Direktion Digitale Datenverarbeitung beim Europäischen Patentamt und Ausführungen des Patentanwalts Axel H. Horns zur Abgrenzung von Patent- und Urheberrecht.

Der patente Click

Software-Patente werden zunehmend zum Streitobjekt. Ein Minenfeld entstehe, mahnen Programmierer. Die Entwicklung von Software passe sich nur den Strukturen anderer industrieller Bereiche an, entwarnen Juristen.

Das prominenteste Beispiel für Patentstreitigkeiten bietet der Buchversender Amazon. Er erhielt im September letzten Jahres in den USA ein Patent auf die von ihm entwickelte »1-Click«-Technik.[1] Einen Monat später reichte Amazon Klage wegen Patentverletzung durch den Konkurrenten Barnes & Noble ein. Im Dezember verbot ein Gericht Barnes & Noble mittels einer einstweiligen Verfügung ihre angeblich patentverletzende Technik weiterhin einzusetzen. In einer Auseinandersetzung mit dem Verleger Tim O'Reilly ließ sich Amazons Geschäftsführer Jeffrey Bezos nun vor kurzem überzeugen, dass das Patentsystem reformbedürftig ist.

Amazons Patent hat zum Ziel, die notwendigen Interaktionen und die Übertragung sensitiver Daten beim Online-Shopping zu minimieren. Die Bestellung soll auf einen Mausklick hin erfolgen. Dabei schickt der Browser die Order zusammen mit einem den Kunden identifizierenden Cookie an den Server. Sämtliche zum Versand notwendigen Informationen können dann über das Cookie aus der Kundendatenbank gezogen werden. Voraussetzung ist, dass der Server bei einem früheren Einkauf, die Daten zusammen mit einem Cookie gespeichert und letzteres an den Kunden zurückgeschickt hat.

Die Kritik an Amazons Verhalten illustriert die gängigen Vorbehalte gegenüber Software-Patenten. Das Patent sei eine Lizenz zum Prozessieren; mit der Klage gegen den direkten Konkurrenten werde - wie zu Goldgräberzeiten - der eigene Claim abgesteckt. Schließlich erinnere das Patent selbst an jene Zeit, da Kunden ihre Cookies in Form von Kundenkarten bei sich trugen.

Auf diese Vorbehalte stößt nun auch der Entwurf einer EU-Richtlinie zu Software-Patenten.[2] Er soll, wie aus der EU-Kommission zu erfahren war, im Juni 2000 bekannt gemacht werden. Die Kommission möchte damit klarstellen: Software ist patentfähig. Außerdem will die EU mit dem Vorhaben für Transparenz sorgen und die unterschiedlichen Interpretationen des Patentrechts in den Mitgliedsstaaten harmonisieren. Die Kommission ist bestrebt, den Argwohn gegenüber der Richtlinie zu dämpfen. Die Zustände in den USA seien bekannt, und die US-Praxis solle nicht kopiert werden, heißt es.

Das Echo auf das EU-Vorhaben ist geteilt. Bei der Software AG begrüßt man die Möglichkeit die eigene Entwicklungsarbeit schützen zu können. IBM hat sogar maßgeblichen Anteil an der Revision des EPÜ, da die Firma für zwei Entscheidungen beim europäischen Patentamt sorgte, die dessen Haltung gegenüber Software-Patenten änderte (s. Interview). Im Januar freute sich das Unternehmen denn auch, von mehr als 2700 Patenten im Jahr 1999 berichten zu können. Hervorgehoben wurden die über 900 softwarebezogenen Patente, die »grundlegende Bedeutung für die e-business-Strategie des Unternehmens« besäßen.

Mittelständische Unternehmen stehen den Änderungen ambivalent gegenüber. Martin Kotulla, Kopf des Office-Software-Herstellers SoftMaker in Nürnberg, sieht die Gefahr amerikanischer Zustände in Deutschland und verweist auf das Beispiel Amazon. In den USA würden Patente aggressiv in einem Verdrängungswettbewerb eingesetzt und schadeten kleinen und mittleren Unternehmen. Zudem seien Patente nicht bezahlbar: »Welches Unternehmen mit 10 bis 15 Mitarbeitern kann sich 60.000 DM für ein europäisches Patent leisten?«

60.000 DM pro EU-Patent

Bei der Bochumer ZN GmbH, einem Spin-Off der Ruhr-Universität, sieht man das anders. Die Firma entwickelt unter anderem biometrische Verfahren zur Gesichtserkennung. Auf das sogenannte Graph-Matching-Verfahren halten die Gesellschafter ein Patent und überlassen es der Firma zur Nutzung. vista* new media in Köln befasst sich mit Agenten-Software und persönlichen Assistenten. Dort hält man Patente für eine Möglichkeit, die eigene Software zu schützen. Allerdings wolle man das noch prüfen, denn Erfahrungen mit Patenten lägen noch nicht vor.

Praktische Erfahrungen mit patentierter Software sammelt derzeit das Fraunhofer Institut für integrierte Schaltungen in Erlangen. Nach eigenen Angaben hält das Institut zusammen mit Thomson multimedia sowohl in Deutschland als auch in den USA eine ganze Reihe von Patenten, welche das Kompressionsformat MP3 betreffen. Nach den Lizenzbestimmungen von Fraunhofer und Thomson werden für den Vertrieb von Software-Decodern, mit denen sich MP3-Dateien abspielen lassen, keine Gebühren erhoben. Das Gegenstück, der Encoder, der aus Audiodaten einen MP3-Datenstrom erzeugt, unterliegt dagegen strengen Bestimmungen: »Selbst die Verteilung von Encodern als freie Software«, so Martin Sieler vom Fraunhofer Institut, »ist eine kommerzielle Nutzung und damit lizenzpflichtig.« Ebenso werden für den kommerziellen Vertrieb von MP3-Dateien Lizenzgebühren fällig, da das Format mit einem sogenannten »unvermeidbaren Patent« geschützt ist.

Theoretisch befindet sich Fraunhofer damit in einer hervorragenden Position. Doch das Institut sieht sich im Netz mit der Herausforderung konfrontiert, nicht die Nadel im Heuhaufen zu finden, sondern in einem Nadelhaufen jene aufzuspüren, die eine Patentverletzung darstellen. »Das Netz ist nicht generell überprüfbar«, räumt Sieler ein, trotzdem suche man selbst nach Hinweisen und versuche, die Programmierer zu kontaktieren.

Auch wenn der Markt unter dem Einfluss des Netzes kränkelt, hat Fraunhofer durch seine Mitarbeit am ISO-Standard MPEG 1 Layer 3 gute Karten. Jeder, der den Vorteil eines internationalen Standards gewerblich nutzen will, muss die damit verbundenen Patente lizenzieren. So hält Siemens ein Patent auf das Verfahren, den Sender eines Handys dann zu aktivieren, wenn gesprochen wird.[3] Das Patent floss in den GSM-Standard ein und ist in den Worten von Rolf Ohmke, Mitarbeiter in der Zentralabteilung Technik, »kaufmännisch zufriedenstellend«.

Der Handel mit Patentlizenzen entwickelt sich zu einem einträglichen Geschäftszweig. IBM verbucht jährlich aus Lizenzen und Urheberrechten Einnahmen von über einer Milliarde Dollar. Thomson multimedia startete 1998 das Projekt LIVE, um die Lizenzierungsaktivitäten besser zu koordinieren. Im gleichen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen 400 Millionen Francs in diesem Bereich und erwartete für 1999 1,8 Milliarden Francs.

Während die Branchenriesen ihre Rechte gewinnbringend vermarkten, haben kleinere Firmen aber auch die Forschungseinrichtungen der Universitäten häufig Schwierigkeiten, Abnehmer zu finden. An sie richten sich Internet-Marktplätze für geistiges Eigentum. Aus einem Projekt der Universität Yale ging »TechEx«[4] hervor, das genauso wie die jüngere Initiative »Patent & License Exchange«[5] Erfinder und Interessenten miteinander in Kontakt bringen will.

Programmieren als industrielle Produktion?

Ungerührt von Bilanzen und Problemen stehen die Urheber einer Patentierbarkeit ihrer Arbeit oftmals kritisch gegenüber. Dazu trägt das Selbstbildnis der Hacker bei. Ob Tageseinteilung, Kleidungscode oder Essgewohnheiten, kultiviert wird jener genialische Gestus, wie das Vorurteil ihn eher bei Wissenschaftlern und Künstlern vermutet. Dazu gehört auch, das Programmieren weniger als Produktion in einem industriellen Sinne zu verstehen, sondern vielmehr als handwerkliche Problemlösung des Einzelnen zu betreiben. So berichtet Ohmke, dass die Mitarbeiter für die Patentproblematik großenteils erst sensibilisiert werden müssten.

Parallel dazu herrschen unterschiedliche Auffassungen, was Software eigentlich ist. Software, so Ohmke weiter, sei mehr als ein Programm, es umfasse Regeln, Layout, Schnittstellen etc. Und als spezielle Lösung eines technischen Problems sollte Software sehr wohl patentierbar sein. In einer Stellungnahme vertritt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eine ähnliche Auffassung: Algorithmen als solche liessen sich nicht patentieren, aber »wenn ein Algorithmus in Form eines Programms gleichzeitig mit einer technischen Ausprägung beschrieben wird, dann ist das Ganze patentierbar.«

Dagegen argumentiert Georg Greve, Sprecher des GNU-Projekts in Europa: »Programmieren hat mit dem Erstellen eines Textes zu tun.« Daniel Riek, Vorstandsmitglied im Linux-Verband, stimmt damit überein: »Als Informatiker formuliere ich abstrakte Ideen in formaler Sprache.« Folglich könne das Produkt der Arbeit eher mit einem Buch verglichen werden.

Die unterschiedlichen Auffassungen spiegeln divergierende Auslegungen des zentralen Problems von Software-Patenten: Wie wird das technische Moment einer Software-bezogenen Erfindung, ihre Technizität bestimmt? Die Antworten, egal ob die Frage Patentämtern, -anwälten oder -abteilungen gestellt wird, insistieren auf dem technischen Aspekt von Erfindungen. Diesen Aspekt umschreibt das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) als »Einwirken auf die Welt der Dinge«.

Mit dem Vordringen von Software in weite Lebensbereiche zeigt der ursprünglich eingrenzbare technische Blickwinkel jedoch die Tendenz, »die Welt der Dinge« ebenfalls auszudehnen. Zugleich fallen die Standards für die Patentierbarkeit von Erfindungen. Und so wirkt Amazons nun auch in Europa zum Patent angemeldeter Mausclick wie die Entscheidung, ob ein Gerät durch Drücken oder Drehen eines Knopfes eingeschaltet werden soll. Über das Patentrecht verschieben sich damit die Grenzen, die dem geistigen Eigentum bislang gesetzt waren.

So gesehen zeigen sich die Richtlinie der EU und die Revision des EPÜ als Teil eines allgemeinen Trends. Sie passen das Patentrecht den Vorgaben der WTO-Vereinbarung für das gewerbliche Schutzrecht (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS))[6] an. Parallel dazu plant die EU eine Richtlinie[7], die sich an den Urheberrechtsvorstellungen der World Intellectual Property Organisation orientiert. Auch hier steht die Ausweitung des geistigen Eigentums auf dem Programm.

Literatur

[1] US-Patent 5,960,411
[2] Peter Schmitz, Schlechte Karten für deutsche Entwickler?, c't 16/99, S. 72
[3] US-Patent 4,843,612
[4] http://www.techex.com/
[5] http://www.pl-x.com/
[6] http://www.wto.org/wto/intellec/1-ipcon.htm
[7] http://europa.eu.int/comm/dg15/en/intprop/intprop/copy2de.pdf