Erschienen in Telepolis (2000-08-02) und im Netpol-Digest 26 (2000-07-26).

Jedermanns Neuigkeiten

»Entwicklungen im Begonien-Sortiment« mögen nicht von allgemeinem Interesse sein. Doch heutzutage nehmen sich Newsletter auch dieses Themas an. Mit einer seit zwanzig Jahren steigenden Vielfalt und Auflage widersprechen sie dem flott flachen Allgemeinplatz, das Netz sei ein Medium, in dem keiner lesen wolle.

Schon die Zahl von Newslettern lässt sich schwer bestimmen. Als im März des Jahres John Labovitz die Arbeit an seiner e-zine-List[1] einstellte, verzeichnete er 4392 Einträge. Das deutsche Verzeichnis LISde[2] antwortet auf die Abfrage nach dem Begriff »Newsletter« immerhin mit 1250 Verweisen. Je nach Selbstverständnis richten sie sich an ein breit gestreutes Publikum oder dienen der firmeninternen Kommunikation. Regeln für Newsletter gibt es nicht, die jeweiligen Herausgeber bestimmen nach eigenem Gutdünken über Inhalt und Aufmachung. Grenzen thematischer oder formeller Art setzen ihnen allenfalls ihre Abnehmer und die Technik.

Mit der allgemeinen Bezeichnung »e-zine« fasst Labovitz einen großen Teil der elektronisch vertriebenen Periodika zusammen. Das Zurücklassen der Hälfte des englischen »magazine« mag auf die Abkehr vom Hochglanz gängiger Illustrierter deuten: Nicht die Stromlinienform für den Massenmarkt steht im Vordergrund sondern die spezifische Thematik. Zugleich erlaubt die Voranstellung neuer Silben, wie im Fall »fanzine«, die Eingrenzung der Klientel. Im Netz stellt das allgegenwärtige »e-« den Bezug zur Technik des Veröffentlichens her.

Mit dem wörtlichen Rückgriff auf das herkömmliche Print-Medium Magazin vermischen sich die Welten. »InterText«[3], eine seit zehn Jahren erscheinende Sammlung der Prosa von Amateur-Schriftstellern, demonstriert das, in dem nicht nur sämtliche Möglichkeiten des e-publishing durchdekliniert werden: Die Ausgaben der Hefte sind aufbereitet für das ebook und den Palm, stehen aber auch als Text und PDF bereit - außerdem hat das Magazin den Sprung aus dem Netz in die Druckerpresse gewagt.

Den eigentlichen Anknüpfungspunkt für Newsletter abseits der Kultur der gedruckten »zines« bilden Publikationen wie der heute noch vertriebene Rundbrief »TELECOM Digest«.[4] Seit August 1981 wurde die Mailing-Liste in Form einer moderierten Nachrichtengruppe auch über das beginnende Usenet verbreitet (fa.telecom). Dort findet er sich heute noch (comp.dcom.telecom). Aus dem ursprünglichen Moderator der Nachrichtengruppe, dem die Entscheidung obliegt, welche Artikel erscheinen, ist in der Zwischenzeit ein Herausgeber geworden. Der Wandel der Etikette spiegelt auch eine veränderte Auffassung der Arbeit: Sichern Moderatoren in ihren Nachrichtengruppen vorwiegend die thematische Geschlossenheit, bringt der Herausgeber auch qualitative Maßstäbe ins Spiel.

Die Sorgfalt der Herausgeber beschränkt sich nicht auf die Auswahl der Artikel. Beim Blick auf die Veteranen des Genres springt häufig die Sorgfalt des Layouts in Auge. Da zeigt der Vergleich mit jüngeren Angeboten einen Verlust an Verständnis für das Medium. So erscheint seit einem Jahr der Rundbrief »Heute im Bundestag« mit überlangen Zeilen, und das Inhaltsverzeichnis schreit die Überschriften in Großbuchstaben heraus. Dagegen erinnert die Aufmachung von Athene[5], das 1989 bis 1990 als Vorläufer von InterText erschien, regelrecht an ASCII-Art: Schon der Kopf der Ausgaben erstaunt mit einem elegant wirkenden Titelschriftzug und einem ansprechend gestalteten Einstieg. Nur der Blocksatz, der in der ersten Ausgabe noch Verwendung fand, wurde später aufgegeben.

Es dürften die erweiterten technischen Möglichkeiten sein, die zur mangelnden Sorgfalt bei der Gestaltung führen. Wenn das Augenmerk sich vorwiegend auf die Präsentation im World Wide Web konzentriert, fällt der Rundbrief per E-Mail als Nebenprodukt ab. Gerade in den älteren Newslettern findet sich jedoch auch der Hinweis auf eine positive Entwicklung: Hieß es früher am Schluss dick unterstrichen »End of Digest«, geht heute kaum ein Herausgeber mehr davon aus, seine Mitteilungen könnten die Empfänger nur verstümmelt erreichen.

Gewandelt haben sich im Lauf der Zeit auch Vertrieb und Archivierung. Gerade die länger existierenden Newsletter kennen, wie der TELECOM Digest, die Verteilung über das Usenet in eigenständigen Nachrichtengruppen. Daneben unterhalten »comp.risks« oder der »Computer Underground Digest« - kurz CU-Digest - umfangreiche FTP-Archive. Das Web kam erst später dazu. Heutige Newsletter nutzen kaum mehr den Vertrieb über das Usenet. Statt dessen verlassen sie sich, wie etwa Wolfgang Blehs »Internet Intern«[6], auf eine Web-Site und die Verteilung über E-Mail. Der Eintrag in Suchmaschinen oder thematisch sortierte Kataloge soll potentielle Leser anlocken.

Während Labovitz' Übersicht bereits seit 1993 für Orientierung sorgte, geben in Deutschland seit etwa zwei Jahren auf Newsletter konzentrierte Verzeichnisse Hilfestellung bei der Suche nach regelmäßig sprudelnden Informationsquellen. Sie belegen nicht nur das generelle Wachstum der Szene. Kai Weible, der bei »Newsletters Online«[7] auch an deren Bewertung arbeitet, meint, die ursprüngliche Monokultur technisch orientierter Nachrichten weiche einer wachsenden thematischen Vielfalt.

Trotz solcher Orientierungshilfen bleiben die Abonnenten-Zahlen bestenfalls im vierstelligen Bereich. Uta Martensen, verantwortlich für »Heute im Bundestag«, spricht von 5000 Abnehmern. Die Schallmauer von 10.000 Abonnenten durchbrechen Newsletter nur, wenn sie als Ableger herkömmlicher Medien immer wieder beworben werden. Dabei sorgt die Verteilung per E-Mail für eine bessere Streuung, so Martensen. Da außer einer E-Mail zur Bestellung nichts weiter notwendig ist, versammelt sich das interessierte Publikum von selbst.

Darauf sind auch schon die Werber verfallen. Ihnen gefallen Newsletter als thematisch eng gefasste Kanäle, über die sie eine bestimmte Klientel ansprechen können. Daher findet sich mittlerweile in vielen der regelmäßigen Rundbriefe immer öfter auch ein Abschnitt mit Reklame. Finanzieren lässt sich das Unternehmen Newsletter damit nicht. Auch verbunden mit Werbung auf den Web-Seiten übersteigen die Einnahmen kaum die Umsätze einer Schülerzeitung, so Bleh. Trotzdem macht sich der Mitteilungsdrang in verschiedenen Fällen immerhin mittelbar bezahlt. Volker Lange, Herausgeber des Wissenschafts-Newsletters »Morgenwelt«[8], nennt vermehrte Aufträge von fremder Seite als positiven Nebeneffekt des Engagements.

Woher kommt die Motivation, wenn die finanzielle Bilanz nur über Umwege ausgeglichen werden kann? Claudia Klinger, die nach verschiedenen Projekten jetzt ein Tagebuch im Web führt[9], hebt das Experimentieren mit verschiedenen Formen und den unmittelbaren Kontakt zu den Lesern hervor. Leser sind auch für Wolfgang Bleh wichtig; die Unmittelbarkeit der Rückmeldungen sorge für persönliche Zufriedenheit. Als auslösendes Moment, »Internet Intern« überhaupt ins Leben zu rufen, nennt Bleh die vor wenigen Jahren noch übliche Berichterstattung in den herkömmlichen Medien. Mangels Sachkenntnis sei das Netz zur Schmuddelecke der Gesellschaft verzerrt worden. Aufklärung tat not.

Während die Motive sich klären lassen, umranken Missverständnisse die Bedeutung von Newslettern. An zweiter Stelle rangiert die Offerte, bei Änderungen an der Web-Site per E-Mail verständigt zu werden. Die Neuigkeit, da und dort gebe es Neues zu sehen oder zu lesen, darf getrost als Informationsmüll gelöscht werden. Besser funktionieren derartige Angebote in Form von Appetithäppchen, die das Wesentliche knapp zusammenfassen und ausführlichere Texte an anderer Stelle versprechen.

Das prominenteste Missverständnis spiegelt sich in der Betonung, der angebotene Newsletter sei kostenlos. Dabei schält sich im beständigen, vielstimmig vernetzten Gerangel um Aufmerksamkeit bislang kein Modell heraus, wie sich Newsletter verkaufen ließen. Im Gegenteil dürfte der Druck, Informationen als Dreingabe zu verbreiten, noch wachsen; denn mittlerweile raten auch Werbeagenturen ihren Kunden, Newsletter herauszugeben. Es sei von Vorteil, sich nicht mit plumpen Produktinformationen sondern mit nennenswerten Nachrichten regelmäßig in Erinnerung zu bringen. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür bietet der von Innen- und Wirtschaftsministerium sowie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik herausgegebene Rundbrief »Sicherheit im Internet«[10], den eine Potsdamer PR-Agentur zusammenstellt.

In dem zunehmenden Gewirr aus Nachrichten, Werbegeklingel und interessen-geleiteter Informationspolitik sind es vor allem die Leser, die sich zu wappnen haben. Sie sind es, die immer wieder die eine Frage beantworten müssen: »Wie glaubwürdig ist die Quelle?«

[1] http://www.meer.net/~johnl/e-zine-list/
[2] http://www.lisde.de/
[3] http://www.intertext.com/
[4] http://massis.lcs.mit.edu/telecom-archives/
[5] http://www.etext.org/Zines/Athene/
[6] http://www.intern.de/
[7] http://www.newsletters-online.de/
[8] http://www.morgenwelt.de/
[9] http://www.claudia-klinger.de/
[10] http://www.sicherheit-im-internet.de/