Erschienen in Telepolis (2000-04-28) und im Netpol-Digest 22 (2000-05-10).
Zwei Buchstaben - viele Bedeutungen
Für die einen ist sie ein Verkaufsschlager, für die anderen die Repräsentation des Staates im Netz. Die Ansichten über die Bedeutung von Länderdomains klaffen heute weit auseinander. Von der ursprünglichen Bedeutung, große Datenmengen im Sinne der Internet-Gemeinschaft dezentral zu verwalten, ist wenig geblieben.
Eine Länderdomain »verleiht einem Land seine Anerkennung und Souveränität in der Cyberwelt«, meint Predrag Pale von der kroatischen Registrierungsstelle, zuständig für die Domainnamen unterhalb von .hr. Die Country Code Top Level Domain (ccTLD) .hr für Kroatien habe damit die selbe Bedeutung wie für jedes andere Land, so fährt Pale ohne den Anflug eines Zweifels fort.
Seine Ansicht erstaunt, denn ursprünglich stellte das Domain Name System (DNS) eine technische Lösung dar. Der Namensraum des Internet wurde Mitte der 80er Jahre hierarchisch aufgegliedert. Ein Rechnername musste damit nicht mehr weltweit einzigartig sein, sondern nur noch innerhalb einer Domain. Außerdem ließ sich damit die Verwaltung der Namen von einer zentralen Stelle auf verschiedene Schultern verteilen. Die von der International Standards Organization (ISO)[1] betreute Liste »3166-1«[2] von Länder-Kodes diente dabei zur Kennzeichnung der jeweiligen Länderdomains.
Die seit langem geübten Praktiken gerade kleinerer Staaten, wie etwa Tonga, aus der eigenen Domain Kapital zu schlagen und sie weltweit zu vermarkten, lassen Pales Behauptung zudem zweifelhaft erscheinen. Das radikalste Beispiel bot in letzter Zeit der pazifische Inselstaat Tuvalu, als er Anfang April die komplette Domain .tv für 12 Millionen Dollar verscherbelte. Um diesen Preis erwarb die Firma dotTV für die nächsten 12 Jahre das ausschließliche Recht, Domainnamen unter .tv zu registrieren. Abnehmer sollen in erster Linie Fernsehsender sein.
Den eher respektlosen Umgang mit ccTLDs demonstrieren auch Teilnehmer der Internet-Diskussionsforen im Usenet. Besonderer Beliebtheit erfreut sich bei ihnen das Kürzel .ng am Ende der E-Mail-Adresse, das in diesem Zusammenhang für »Newsgroup« steht, aber eigentlich Nigeria bezeichnet. Die zweckentfremdete Endung soll die Nutzer vor unerwünschter E-Mail-Werbung schützen. Ähnlich ergeht es dem für Turkmenistan eingesetzten Kürzel .tm. Da die Abkürzung auch für »Trademark« stehen kann, wurde außerdem die turkmenische Registratur mit Anfragen nach Domains überschwemmt. Schon vor geraumer Zeit hieß es daher auf deren Seiten: »Einige der angemeldeten Namen könnten nach turkmenischem Recht als obszön gelten« und man werde die Maßstäbe für die Vergabe von Domainnamen überprüfen.
Die Registrierung von Domains an der Elle des lokal geltenden Rechts zu messen, hat sich auch in Deutschland durchgesetzt. Die Vergaberichtlinie des DeNIC für Domains unterhalb von .de stellt klar: »Inhaber von Domains können nur natürliche und juristische Personen sein, die ihren allgemeinen Gerichtsstand in Deutschland haben.«
Die Befürworter einer neu einzurichtenden Domain .eu für die Europäische Union wollen ebenfalls die Ansiedlung einer Domain unter .eu mit geltendem europäischen Recht verknüpfen. Unterstützung für ihre Haltung sehen sie beim Governmental Advisory Committee (GAC) der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN).[3] Michael Leibrandt, Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums bei GAC, umreißt den Standpunkt: »Die GAC-Mitglieder gehen davon aus, dass die ccTLD per se wie alle anderen Institutionen auf dem Staatsgebiet der nationalen öffentlichen Gewalt unterliegen.«
Der Einführung von .eu steht noch im Wege, dass das Kürzel noch keinen Eingang in den ISO Standard 3166 gefunden hat. An ihm orientierte sich schon die Vorgängerorganisation von ICANN, die Internet Assigned Numbers Authority (IANA).[4] Das war nicht immer der Fall. So enthält die ISO-Liste GB für das Vereinigte Königreich, im Internet findet sich die entsprechende Domain jedoch nicht. Statt dessen stammt noch aus den Anfangszeiten des Domain Namen Systems die Endung .uk.
»Eine kurze Zeit über vergab die IANA 1996 ccTLDs nicht nur nach dem Maßstab der ISO-3166-Liste sondern bezog auch Kürzel mit ein, die von der ISO für den Weltpostverein vorgesehen waren«, erzählt Pam Brewster von der IANA. »Allerdings funktionierte das nicht zufriedenstellend und so wurde die Praxis schnell wieder aufgegeben.« Schnell genug, sich eine ccTLD zu sichern, waren in dieser Zeit die Kanal-Inseln Jersey (.je) und Guernsey (.gg) sowie die Isle of Man (.im).
Die Registratur der Isle of Man begründet die Einrichtung von .im mit den Worten, es handele sich um eine stolze Nation und entsprechend repräsentiere die Domain sie im Internet. Mit einer Vorlesung in Staatsbürgerkunde begegnet Nick Lockett einer entsprechenden Anfrage auf den Kanalinseln: »Die Kanal-Inseln gehören nicht zum Vereinigten Königreich, sondern haben jeweils eigene Regierungen. Zwar wird die Königin von England als Staatsoberhaupt anerkannt, aber nicht über ihre englische Krone, sondern als Herzogin der Normandie.« Die Frage, so Lockett, ob die IANA sich im Fall der Inseln an der ISO-Liste hätte orientieren können, hätte sich daher gar nicht gestellt.
Neben solchen Domains, die von der ISO gar nicht vorgesehen sind, hat auch eine überlebt, die bereits gestrichen wurde. Nach der Auflösung der Sowjetunion sei 1992 das Kürzel SU aus der ISO-Liste entfernt worden, berichtet Kerstin Bülow von der ISO 3166 Maintenance Agency. Zeitgleich seien die Abkürzungen für einen großen Teil der ehemaligen Sowjet-Republiken, darunter auch Russland, eingerichtet worden. Nach wie vor existiert jedoch die Domain .su. Maria Koroleva von der russischen Registratur, bedauert: »Die Domain .su ist eingefroren, es werden keine neuen Registrierungen mehr vorgenommen. Unglücklicherweise weiß niemand, ob irgendwann wieder neue Domains unter .su eingerichtet werden.« Einen Status als Zombie hat .su deswegen nicht. Traditionell werde die Domain nach wie vor besonders von jenen Unternehmen genutzt, die im Bereich der ehemaligen Sowjetunion tätig sind.
Anfang der 90er Jahre entstanden nicht nur auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion neue ccTLDs. Durch die Teilung der Tschechoslowakei überlappten sich 1993 kurzfristig die Domains der beiden neuen Republiken (.cz und .sk) mit der des alten Staates (.cs). »Zu dem Zeitpunkt kümmerte sich kaum jemand um Domainnamen. Wir verabredeten mit den tschechischen Kollegen einen Plan für den Übergang, und die Abwicklung verlief reibungslos« meint Ivan Lescak, von der slowakischen Registrierungsstelle. Heute würden die meisten Unternehmen aus der Slowakei Domains unter .sk einrichten lassen und selten auf internationale wie .com ausweichen.
Auch aus der Sicht der Kroaten hat es im ehemaligen Jugoslawien keine Probleme beim Übergang von .yu auf .hr gegeben. Allerdings, so Predrag Pale, habe das Netz 1992 in Jugoslawien mit gerade mal zehn Internet-Adressen kaum existiert, aber »die Domain einzurichten, war das erste, was wir taten, nachdem die UN Kroatien anerkannt hatte«, so Pale.
Entsprang die Eile einem Missverständnis? Als »einen öffentlichen Dienst im Interesse der Internetgemeinschaft« bezeichnete Jon Postel, der mittlerweile Verstorbene ehemalige Leiter der IANA, die Arbeit der Registraturen. Die Frage nach der Bedeutung von Länderdomains nur mit dem Hinweis auf ihren Charakter als technische Lösung zu beantworten, scheint jedoch genügend Freiraum für andere Interpretationen zu lassen. Möglicherweise fordert die Beschränkung auf das rein Technische sie geradezu heraus.
[1] http://www.iso.ch/
[2] http://www.din.de/gremien/nas/nabd/iso3166ma/codlstp1.html
[3] http://www.icann.org/
[4] http://www.iana.org/